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Cryptonomicon

Cryptonomicon

Titel: Cryptonomicon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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und entschieden. Shaftoe merkte, dass sie kurz davor waren, ihn rauszuschmeißen. Er straffte die Schultern.
    Die Nips waren gut; sie starteten einen organisierten Angriff zur Tür hinaus, auf den Bürgersteig, und attackierten die Marines, ehe irgendwer Hand an Shaftoe gelegt hatte. Dieser vernichtende Angriff hinderte die Marines daran, überhaupt in das Restaurant einzudringen, was die Offiziere beim Essen gestört und mit etwas Glück gewaltigen Sachschaden angerichtet hätte. Dann spürte Shaftoe, wie ihn mindestens drei Leute von hinten packten und hoch hoben. Während dies geschah, kam er in Blickkontakt mit dem Lieutenant und brüllte: »Verscheißern Sie mich mit dem Seegras?«
    Wie Schlägereien so sind, war das einzig Bemerkenswerte an dieser die Art und Weise, wie man ihn auf die Straße hinaustrug, ehe er überhaupt loslegen konnte. Danach war sie genau wie alle anderen Keilereien mit Nip-Soldaten in Schanghai, an denen er beteiligt gewesen war. Sie liefen allesamt auf amerikanische Muskelkraft (man wurde nicht für das Vierte Regiment ausgesucht, wenn man kein eindrucksvoll aussehender Einsachtziger war) gegen dieses japanische Chop-Wummi hinaus.
    Shaftoe war kein Boxer. Er war Ringer. Das war zu seinem Vorteil. Die anderen Marines würden die Fäuste hochnehmen und es – nach den Boxregeln – ausfechten: keine Chance gegen Chop-Wummi. Shaftoe machte sich keine Illusionen über seine Boxkünste, deshalb senkte er normalerweise den Kopf und griff wie ein Stier an, musste unterwegs ein paar Schläge ins Gesicht einstecken, bekam seinen Gegner normalerweise aber richtig zu fassen und knallte ihn aufs Pflaster. Normalerweise schüttelte das den Nip so durch, dass Shaftoe einen Doppelnelson oder einen Hammerlock ansetzen und den anderen zum Aufgeben bringen konnte.
    Die Jungs, die ihn aus dem Restaurant trugen, wurden von Marines angegriffen, sowie sie ins Freie kamen. Shaftoe geriet an einen Gegner, der mindestens so groß war wie er selbst, was ungewöhnlich war. Außerdem war der andere kräftig gebaut – nicht wie ein Sumo-Ringer, sondern eher wie ein Football-Spieler, ein Lineman mit Bauchansatz. Der Scheißkerl war stark und Shaftoe wusste sofort, dass ihm eine richtige Abreibung bevorstand. Der Bursche rang in einem anderen Stil als der Amerikaner, was (wie Shaftoe auf die harte Art lernte) auch ein paar unerlaubte Manöver einschloss:Würgegriffe und kurze, heftige Schläge gegen wichtige Nervenzentren. Die schon vom Alkohol aufgebrochene Kluft zwischen Shaftoes Geist und Körper geriet durch diese Techniken zum unüberwindlichen Abgrund. Am Ende lag er hilflos und gelähmt auf dem Bürgersteig und starrte zu dem pausbäckigen Gesicht seines Gegners auf. Es war (so ging ihm auf) der Bursche, der in der Ecke des Restaurants gesessen und Gedichte vorgelesen hatte. Für einen Dichter war er ein guter Ringer. Oder vielleicht auch umgekehrt.
    »Es ist kein Seegras«, sagte der große Nip. Er hatte einen Ausdruck im Gesicht wie ein ungezogenes Schulkind, das ungestraft davonkommt. »Heißt das richtige Wort vielleicht Kalebasse?« Und damit drehte er sich um und ging ins Restaurant zurück.
    So viel zur Legende. Allerdings weiß keiner der anderen Marines, dass das nicht die letzte Begegnung zwischen Bobby Shaftoe und Goto Dengo war. Der Vorfall warf für Shaftoe jede Menge drängender Fragen zu so verschiedenen Themen wie Seegras, Dichtkunst und Chop-Wummi auf. Später machte er Goto Dengo ausfindig, was nicht besonders schwierig war – er bezahlte einfach ein paar chinesische Jungen dafür, dass sie dem auffälligen Nip durch die Stadt folgten und täglich Bericht erstatteten. Auf diese Weise erfuhr er, dass Goto Dengo und einige seiner Kameraden sich jeden Morgen in einem bestimmten Park einfanden, um ihr Chop-Wummi zu praktizieren. Nachdem er einen letzten Brief an seine Eltern und Geschwister in Oconomowoc geschrieben und sich vergewissert hatte, dass sein Testament in Ordnung war, ging Shaftoe eines Morgens in den Park, stellte sich abermals dem überraschten Goto Dengo vor und erbot sich, als menschlicher Punchingball zu dienen. Sie fanden seine Selbstverteidigungsfähigkeiten zum Schreien primitiv, bewunderten jedoch seine Unverwüstlichkeit, und so bekam Bobby Shaftoe um den geringen Preis einiger gebrochener Rippen und Finger einen Grundkurs in der von Goto Dengo favorisierten speziellen Variante von Chop-Wummi, die Judo hieß. Mit der Zeit führte das sogar zu ein paar gesellschaftlichen

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