Cryptonomicon
Asien, sodass man sich praktisch wie zu Hause in den Staaten fühlt. Bei aller Katholizität gibt es darin Bezirke, die den Eindruck erwecken, als seien sie von den Grundsteinen aufwärts nach den Angaben geiler Seeleute entworfen worden. In diese Stadtteile gelangt man, wenn man sich nach rechts wendet, sobald man die Füße auf trockenes Land setzt.
Bobby Shaftoe wendet sich nach links, marschiert unter höflichen Entschuldigungen an einer Legion aufgekratzter Prostituierter vorbei und nimmt Kurs auf die hoch aufragenden Mauern von Intramuros. Er macht nur Halt, um bei einem Verkäufer im Park, der ein Bombengeschäft macht, einen Strauß Rosen zu kaufen. Der Park und die Mauern darüber werden von herumbummelnden Liebespaaren bevölkert, die Männer zumeist in Uniform, die Frauen in züchtigen, aber umwerfenden Kleidern, mit kleinen Sonnenschirmen, die sie auf den Schultern herumwirbeln lassen.
Ein paar Burschen, die von Pferden gezogene Taxis fahren, wollen mit Bobby Shaftoe ins Geschäft kommen, aber er weist sie ab. Ein Taxi wird ihn nur schneller dorthin bringen, und er ist zu nervös, um schnell dorthin kommen zu wollen. Durch ein Tor in der Mauer gelangt er in die Altstadt.
Intramuros ist ein Labyrinth gelbbrauner Steinmauern, die sich jäh von schmalen Straßen erheben. Die Fenster im Erdgeschoss, entlang den Bürgersteigen, sind mit schwarzen, schmiedeeisernen Käfigen gesichert. Die Eisenstangen bauchen und schnörkeln sich und treiben fein gehämmerte Blätter. Die Obergeschosse springen vor und sind mit Gaslaternen ausgestattet, die soeben von Dienern mit langen, rauchenden Stangen angezündet werden. Aus den oberen Fenstern wehen Gelächter und Musik, und wenn er an den Torbögen vorbeikommt, die in die Innenhöfe führen, riecht er die Blumen in den Hintergärten.
Er kann die Häuser ums Verrecken nicht auseinander halten. Er erinnert sich an den Straßennamen Magallanes, weil Glory ihm einmal gesagt hat, es sei das Gleiche wie »Magellan«. Und er erinnert sich an den Blick auf die Kathedrale aus dem Fenster der Pascuals. In der Gewissheit, ganz in der Nähe zu sein, wandert er ein paar Mal um einen Häuserblock. Dann hört er aus einem Fenster im ersten Stock überschwängliches Mädchenlachen und bewegt sich darauf zu wie eine von einem Einlassrohr angesogene Qualle. Es kommt alles zusammen. Hier ist es. Die Mädchen tratschen auf Englisch über einen ihrer Lehrer. Glorys Stimme hört er nicht, aber er meint, ihr Lachen zu hören.
»Glory!«, sagt er. Dann sagt er es lauter. Falls sie ihn hören, beachten sie ihn nicht. Schließlich holt er aus und schleudert den Rosenstrauß über das Holzgeländer durch eine schmale Lücke zwischen den Perlmuttläden ins Zimmer.
Wundersames Schweigen aus dem Zimmer, dann stürmisches Gelächter. Die Perlmuttläden öffnen sich mit langsamer, qualvoller Verschämtheit. Ein neunzehnjähriges Mädchen tritt auf den Balkon hinaus. Sie trägt die Kluft einer Schwesternschülerin. Das Kleid ist so weiß wie Sternenlicht am Nordpol. Sie hat ihr langes schwarzes Haar gelöst, um es zu bürsten, und es regt sich träge in der Abendbrise. Das letzte rötliche Licht des Sonnenuntergangs lässt ihr Gesicht wie eine Kohle glühen. Sie versteckt sich einen Moment lang hinter dem Strauß, vergräbt das Gesicht darin, atmet tief ein, wirft Shaftoe mit ihren schwarzen Augen über die Blüten hinweg einen verstohlenen Blick zu. Dann senkt sie den Strauß allmählich, sodass ihre hohen Wangen zum Vorschein kommen, ihre vollkommene kleine Nase, die fantastische Skulptur ihrer Lippen, hinter denen die Zähne – weiß, doch entzückend unregelmäßig – nur eben sichtbar sind. Sie lächelt.
»Herr des Himmels«, sagt Bobby Shaftoe, »deine Jochbeine sind der reinste Schneepflug.«
Sie legt den Finger an die Lippen. Die Geste, mit der etwas Glorys Lippen berührt, fährt Shaftoe wie ein unsichtbarer Speer durch die Brust. Glory beäugt ihn eine Zeit lang, überzeugt sich, dass sie seine volle Aufmerksamkeit hat und dass er dableiben wird. Dann wendet sie ihm den Rücken zu. Das Licht streift ihren Hintern, zeigt nichts, sondern lässt die Spalte nur erahnen. Sie geht ins Zimmer zurück und die Läden gleiten hinter ihr zu.
Plötzlich wird es in dem Zimmer voller Mädchen still bis auf gelegentliche Ausbrüche von unterdrücktem Gelächter. Shaftoe beißt sich auf die Zunge. Sie vermasseln ihm alles. Mr. und Mrs. Pascual werden das Schweigen bemerken und Verdacht
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