Cryptonomicon
nennen.«
Der Fahrer ist erstaunt. »Nicht Soldat? Ich habe gedacht, du bist Soldat. Was bist du?«
Goto Dengo überlegt, ob er behaupten soll, er sei Dichter. Aber auch diesen Titel verdient er nicht. »Ich bin Gräber«, sagt er schließlich, »ich grabe Löcher.«
»Ahh«, sagt der Fahrer, als ob er versteht. »He, willst du?« Er zieht zwei Zigaretten aus der Tasche.
Goto Dengo muss über die Gerissenheit dieses Schachzugs lachen. »Hier«, ruft er dem Ladenbesitzer zu. »Zigaretten.« Der Fahrer grinst und steckt seine Zigaretten wieder ein.
Der Besitzer kommt an ihren Tisch und reicht Goto Dengo ein Päckchen Lucky Strikes und ein Streichholzbriefchen. »Wie viel?«, fragt Goto Dengo und zückt einen Umschlag mit Geld, den er am Morgen in seiner Tasche gefunden hat. Er nimmt die Banknoten heraus und betrachtet sie: Jede ist auf Englisch mit den Worten DIE JAPANISCHE REGIERUNG und einem bestimmten Pesobetrag bedruckt. Die Mitte ziert das Bild eines dicken Obelisken, eines Denkmals für Jose P. Rizal, das in der Nähe des Manila Hotel steht.
Der Ladenbesitzer zieht ein Gesicht. »Haben Sie Silber?«
»Silber? Silber-Metall?«
»Ja«, sagt der Fahrer.
»Benutzen das die Leute?«
Der Fahrer nickt.
»Und das hier ist nichts wert?« Goto Dengo hält die nagelneuen, makellosen Geldscheine hoch.
Der Ladenbesitzer nimmt Goto Dengo den Umschlag aus der Hand, zählt ein paar von den Noten mit den höchsten Nennwerten ab, steckt sie ein und geht.
Goto Dengo reißt die Zellophanhülle des Lucky-Strikes-Päckchens auf, klopft es ein paarmal auf den Tisch und klappt den Deckel auf. Zusätzlich zu den Zigaretten steckt noch ein bedrucktes Kärtchen darin. Er kann nur dessen oberen Teil sehen: es zeigt das Bild eines Mannes mit einer Offiziersmütze. Goto Dengo zieht es langsam heraus, und zum Vorschein kommt ein Adler-Abzeichen an der Mütze, eine Pilotenbrille, eine riesige Maiskolbenpfeife, ein Revers mit einer Reihe von vier Sternen und schließlich, in Blockschrift, die Worte ICH KOMME WIEDER.
Der Fahrer macht ein betont unbeteiligtes Gesicht. Goto Dengo zeigt ihm die Karte und hebt die Augenbrauen. »Heißt nichts«, sagt der Fahrer. »Japan sehr stark. Japaner werden für immer hier sein. MacArthur nur gut zum Zigarettenverkaufen.«
Als Goto Dengo das Streichholzbriefchen öffnet, findet er auf der Innenseite das gleiche Bild von MacArthur und die gleichen Worte aufgedruckt.
Nachdem sie fertig geraucht haben, fahren sie weiter. Überall um sie herum verbinden sich nun schwarze Kegel miteinander und die Straße schwingt sich über Hügel hinweg und in Täler hinab. Die Bäume rücken immer dichter zusammen, bis die beiden schließlich durch eine Art kultivierten und bewohnten Dschungel fahren: dicht am Boden Ananas, in der Mitte Kaffee- und Kakaosträucher und oben Bananen und Kokosnüsse. Sie kommen durch ein Dorf nach dem anderen, jedes ein Gewirr verfallener Hütten, geschart um eine große, weiße Kirche, die kompakt und kräftig gebaut ist, um Erdbeben zu überstehen. Sie schlängeln sich um Haufen frischer Kokosnüsse, die am Straßenrand aufgeschichtet sind und in die Fahrbahn hineinragen. Schließlich biegen sie von der Hauptstraße auf eine Piste ab, die sich zwischen den Bäumen hindurchwindet. Die Piste ist von den Reifen von Lastwagen zerfurcht, die viel zu groß dafür sind. Auf dem Boden verstreut liegen frisch abgebrochene Zweige.
Sie kommen durch ein verlassenes Dorf. Streunende Hunde flitzen in und aus Hütten, deren Türen unverriegelt in den Angeln hängen. Unter summenden Wolken schwarzer Fliegen faulen Haufen junger, grüner Kokosnüsse.
Knapp zwei Kilometer weiter weicht der kultivierte dem wilden Dschungel und ein militärischer Kontrollpunkt versperrt die Straße. Das Lächeln im Gesicht des Fahrers erlischt.
Goto Dengo nennt einer der Wachen seinen Namen. Da er nicht weiß, warum er hier ist, kann er nichts weiter sagen. Mittlerweile ist er sich ziemlich sicher, dass das hier ein Gefangenenlager ist und er im Begriff steht, zum Insassen zu werden. Als sich seine Augen an das Licht gewöhnen, kann er eine von Baum zu Baum geführte Stacheldrahtsperre und hinter dieser eine zweite sehen. Ein genauer Blick ins Unterholz verrät ihm, wo sie Unterstände gegraben und Bunker angelegt haben, sodass er im Geiste ein Bild von ihren einander überschneidenden Feuerbereichen gewinnt. Von den Wipfeln hoher Bäume sieht er Seile herabbaumeln, mit denen sich Heckenschützen, falls
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