Cryptonomicon
selbst sorgt, doch stattdessen kommt ihn ein Wagen abholen. Und als wäre das noch nicht genug, bringt ihn das Auto zu einer Landepiste, wo ihn ein leichtes Flugzeug erwartet. Es ist das erste Mal, dass er in einem Flugzeug fliegt, und die Begeisterung belebt ihn stärker als sechs Wochen Krankenhaus. Das Flugzeug startet zwischen zwei grünen Bergen und nimmt (nach dem Sonnenstand zu urteilen) Südkurs, und zum ersten Mal begreift er, wo er die ganze Zeit gewesen ist: mitten auf Luzon, nördlich von Manila.
Eine halbe Stunde später befindet er sich über der Hauptstadt und die Maschine überquert im Schrägflug den Pasig und dann die Bucht, die mit Militärtransportern voll gestopft ist. Die Corniche wird von einer Postenkette von Kokospalmen bewacht. Von oben gesehen, zappeln ihre gefiederten Blätter in der Meeresbrise wie riesige, auf Dorne aufgespießte Taranteln. Über die Schulter des Piloten hinweg sieht Goto Dengo zwischen den platten Reisfeldern genau südlich der Stadt zwei asphaltierte Landebahnen, die sich in spitzem Winkel kreuzen und so ein schmales X bilden. Das leichte Flugzeug wird von Böen geschüttelt. Es hüpft wie ein zu stark aufgepumpter Fußball die Landebahn entlang, rollt an den meisten Hangars vorbei und bremst schließlich mit beiden Seitenrudern bei einer abseits stehenden Wachbaracke, wo ein Mann auf einem Motorrad mit leerem Seitenwagen wartet. Goto Dengo wird mittels Gesten aus dem Flugzeug und in den Seitenwagen dirigiert; niemand redet mit ihm. Er trägt eine Uniform ohne Rang- oder sonstige Abzeichen.
Auf dem Sitz liegt eine Schutzbrille, die er anlegt, um keine Insekten in die Augen zu bekommen. Er ist ein wenig nervös, weil er keine Papiere und keine Befehle hat. Aber man winkt sie ohne jede Überprüfung vom Luftwaffenstützpunkt auf die Straße hinaus.
Der Motorradfahrer ist ein junger Filipino, der unentwegt breit grinst und so Gefahr läuft, Insekten zwischen seine großen weißen Zähne zu kriegen. Er scheint zu glauben, dass er den besten Job der Welt hat, und vielleicht stimmt das sogar. Er biegt Richtung Süden auf eine Straße ein, die in dieser Gegend wahrscheinlich als großer Highway gilt, und beginnt sich durch den Verkehr zu fädeln. Der besteht hauptsächlich aus Lastkarren, gezogen von Carabaos – großen, ochsenähnlichen Geschöpfen mit eindrucksvollen, halbmondförmig gebogenen Hörnern. Es gibt auch ein paar Automobile und den einen oder anderen Militärlastwagen.
Die ersten paar Stunden ist die Straße gerade und verläuft durch feuchtes Tafelland, in dem Reis angebaut wird. Ab und zu sieht Goto Dengo zu seiner Linken flüchtig ein Gewässer, von dem er nicht recht weiß, ob es sich um einen großen See oder um einen Teil des Ozeans handelt. »Laguna de Bay«, sagt der Fahrer, als er Goto Dengos Blicke bemerkt. »Sehr schön.«
Dann biegen sie vom See weg auf eine Straße ab, die unter sanftem Anstieg in Zuckerrohr-Gebiet führt. Plötzlich erblickt Goto Dengo einen Vulkan: einen symmetrischen Kegel, schwarz von Vegetation und in Dunst gehüllt, als würde er von einem Moskitonetz geschützt. Die hohe Luftdichte macht es unmöglich, Größe und Entfernung abzuschätzen; es könnte ein kleiner Schlackekegel gleich neben der Straße oder ein riesiger Stratovulkan achtzig Kilometer weit weg sein.
Nun tauchen allmählich Bananenbäume, Kokospalmen, Ölpalmen und Dattelpalmen auf, die die Landschaft in eine Art feuchte Savanne verwandeln. Der Fahrer hält bei einem chaotischen Laden an der Straße, um Benzin zu kaufen. Goto Dengo windet seinen durchgeschüttelten Körper aus dem Seitenwagen und setzt sich an einen Tisch unter einem Sonnenschirm. Mit dem sauberen Taschentuch, das er heute morgen in seiner Tasche gefunden hat, wischt er sich eine Schweiß- und Schmutzschicht von der Stirn und bestellt etwas zu trinken. Man bringt ihm ein Glas Eiswasser, ein Schälchen einheimischen Rohzucker und einen Teller mit flipperkugelgroßen Calamansi-Limonellen. Er presst den Limonellensaft ins Wasser, rührt Zucker hinein und trinkt das Ganze gierig.
Der Fahrer setzt sich zu ihm; er hat vom Ladenbesitzer einen Gratisbecher Wasser geschnorrt. Er zeigt die ganze Zeit ein boshaftes Grinsen, wie über einen Witz, den nur er und Goto Dengo kennen. Er hebt ein imaginäres Gewehr vor sein Gesicht und macht eine kratzende Bewegung mit dem Abzugsfinger. »Du Soldat?«
Goto Dengo denkt darüber nach. »Nein«, sagt er. »Ich verdiene es nicht, mich Soldat zu
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