Cryptonomicon
erforderlich, an Ästen festbinden können. Alles entspricht genau dem Lehrbuch, aber es ist von einer Perfektion, wie man sie nur in Ausbildungslagern und niemals auf einem richtigen Schlachtfeld sieht.
Voller Verblüffung begreift er, dass alle diese Befestigungen Leute draußen und nicht drinnen halten sollen.
Über das Feldtelefon kommt ein Anruf, die Schranke hebt sich und sie werden durchgewunken. Knapp einen Kilometer weiter gelangen sie zu einer Gruppe von Zelten; sie sind auf Plattformen errichtet, bestehend aus den frisch gehauenen Baumstämmen, die beim Roden der Lichtung angefallen sind. An einer schattigen Stelle steht ein Leutnant, der auf sie wartet.
»Leutnant Goto, ich bin Leutnant Mori.«
»Sind Sie erst kürzlich in der Südlichen Ressourcenzone eingetroffen, Leutnant Mori?«
»Ja. Woher wissen Sie das?«
»Sie stehen direkt unter einer Kokospalme.«
Leutnant Mori schaut senkrecht nach oben und sieht hoch über seinem Kopf mehrere wollig-braune Kanonenkugeln über seinem Kopf baumeln. »Ah ja!«, sagt er und bewegt sich ein Stück zur Seite. »Haben Sie sich auf dem Weg hierher mit dem Fahrer unterhalten?«
»Nur ein paar Worte gewechselt.«
»Worüber haben Sie gesprochen?«
»Zigaretten. Silber.«
»Silber?« Dafür interessiert sich Leutnant Mori sehr und so gibt Goto Dengo das gesamte Gespräch wieder.
»Sie haben ihm gesagt, Sie seien Gräber?«
»So etwas Ähnliches, ja.«
Leutnant Mori tritt einen Schritt zurück, wendet sich einem Soldaten zu, der etwas abseits steht, und nickt. Der Soldat lüpft den Schaft seines Gewehrs vom Boden, dreht die Waffe in horizontale Position und wendet sich dem Fahrer zu. Er legt die Entfernung in ungefähr sechs Schritten zurück, mit denen er auf Sprinttempo beschleunigt, und stößt einen kehligen Schrei aus, als er sein Bajonett in den schlanken Körper des Fahrers treibt. Der Getroffene wird von den Beinen gehoben und fällt dann mit einem leisem Keuchen der Länge nach auf den Rücken. Der Soldat steht mit gespreizten Beinen über ihm und stößt ihm das Bajonett noch mehrmals in den Körper, und bei jedem Stoß macht das durchs Fleisch gleitende Metall ein feuchtes, zischendes Geräusch.
Der Fahrer liegt schließlich reglos am Boden und sein Blut schießt in alle Richtungen.
»Die Indiskretion wird Ihnen nicht zum Vorwurf gemacht«, sagt Leutnant Mori heiter, »weil Sie nicht wussten, worin Ihr neuer Auftrag besteht.«
»Verzeihung?«
»Graben. Sie sind hier, um zu graben, Goto-san.« Er nimmt Haltung an und verbeugt sich tief. »Ich möchte Sie als Erster beglückwünschen. Ihr Auftrag ist sehr wichtig.«
Goto Dengo erwidert die Verbeugung, ohne recht zu wissen, wie tief sie ausfallen muss. »Ich bin also nicht« – er sucht nach Worten. In Schwierigkeiten? Geächtet? Zum Tode verurteilt? »Ich bin hier also kein niedriger Mensch?«
»Sie sind hier ein sehr hoch gestellter Mensch, Goto-san. Bitte kommen Sie mit.« Leutnant Mori deutet auf eines der Zelte.
Im Weggehen hört Goto Dengo den jungen Motorradfahrer etwas murmeln.
»Was hat er gesagt?«, fragt Leutnant Mori.
»Er hat gesagt: ›Vater, in deine Hände befehle ich meinen Geist.< Das ist etwas Religiöses«, erklärt Goto Dengo.
KALIFORNIEN
Heutzutage scheinen die Hälfte der Leute, die am SFO, San Francisco International Airport, arbeiten, Filipinos zu sein, was sicherlich hilft, den Schock der Wiedereinreise zu mildern. Wie immer wird Randy von den ausschließlich angloamerikanischen Zollbeamten zu einer sorgfältigen Gepäckkontrolle ausgesucht. Allein reisende Männer, die praktisch kein Gepäck bei sich haben, scheinen amerikanische Zollbeamte zu ärgern. Dabei geht es nicht einmal so sehr darum, dass sie denken, man wäre Drogenhändler, sondern vielmehr darum, dass man auf die denkbar klischeehafteste Weise dem Profil des geradezu krankhaft optimistischen Drogenhändlers entspricht und sie daher praktisch zwingt, einen zu durchsuchen. Verärgert darüber, dass man sie derart zum Handeln gezwungen hat, wollen sie einem eine Lektion erteilen: Reise das nächste Mal gefälligst mit Ehefrau und vier Kindern oder gib ein paar große Koffer auf Rollen auf! Was hast du dir bloß gedacht? Dass Randy aus einem Land kommt, wo auf dem Flughafen an jeder Ecke Plakate mit TOD DEN DROGENHÄNDLERN prangen, so wie hier Schilder mit VORSICHT, FRISCH GEPUTZT, spielt dabei keine Rolle.
Der Gipfel des Kafkaesken ist wie immer der Moment, wo der Zollbeamte fragt, womit er seinen
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