Cryptonomicon
sind alle entweder in der Schule oder werden von ihren beiden robusten israelischen Kindermädchen durch die nähere Umgebung gescheucht. Avis Kindermädchen haben die kriegsgestählten Seelen sowjetischer Fallschirmjäger in den gut entwickelten Körpern achtzehnjähriger Mädchen. Das Haus wurde restlos in den Dienst der Kinderaufzucht gestellt. Das eigentliche Esszimmer ist zu einer Kindermädchen-Kaserne mit aus rohen Brettern zusammengenagelten Etagenbetten umfunktioniert worden, das Wohnzimmer steht voll mit Kinderbettchen und Wickeltischen und jeder Quadratzentimeter des billigen langflorigen Teppichs im Haus ist durchsetzt mit einigen Dutzend Glitzerstaubflocken, alle in verschiedenen festlichen Farben, die, selbst wenn einem etwas daran läge, sie loszuwerden, nur durch unmittelbare mikrochirurgische Extraktion, Flöckchen für Flöckchen, entfernt werden könnten. Avi nötigt Randy zu einem Putenwurstsandwich mit Ketchup auf original Wonderoid-Brot. In Manila ist es noch zu früh, als dass Randy Amy anrufen und wieder gutmachen könnte, was immer er verbrochen hat. Unter ihnen, in Avis Büro im Kellergeschoss, kreischt und raschelt ein Faxgerät wie ein Vogel in einer Kaffeedose. Auf dem Tisch ist eine mit Folie überzogene CIA-Karte von Sierra Leone ausgebreitet, die hier und da zwischen verschiedenen einander überlagernden Schichten von schmutzigen Tellern, Zeitungen, Malbüchern und Entwürfen des Epiphyte(2)-Unternehmensplans hervorlugt. An manchen Stellen kleben Haftnotizen auf der Karte. Auf jeder einzelnen steht in Avis charakteristischer Rapidograph-0,25 mm-Tuschfüller-Schrift ein Breiten- und ein Längengrad, dazu jede Menge bedeutsamer Ziffern und eine Art Zusammenfassung dessen, was an dem Ort passiert ist: »5 Frauen, 2 Männer, 4 Kinder, mit Macheten – Fotos:« und dann Seriennummern von Avis Datenbank.
Auf der Herfahrt war Randy ein bisschen groggy und gereizt wegen des unpassenden Tageslichts, aber nach dem Sandwich versucht sein Stoffwechsel wieder voll da zu sein. Randy hat gelernt, auf diesen geheimnisvollen endokrinologischen Wellen zu reiten. »Muss jetzt langsam los«, sagt er und steht auf.
»Wie war noch mal dein grober Plan?«
»Zuerst fahre ich in den Süden«, antwortet Randy, der in einem Anflug von Aberglauben nicht einmal den Namen des Ortes, wo er früher gewohnt hat, aussprechen will. »Nicht länger als einen Tag, hoffe ich. Dann wird sich der Jetlag wie ein untertauchender Safe auf mich legen und ich werde mich vielleicht für einen Tag irgendwo verkriechen und mir im Fernsehen durch das V meiner Füße Basketball anschauen. Dann werde ich mich gen Norden nach Palouse Country begeben.«
Avi zieht die Augenbrauen hoch. »Nach Hause?«
»Ja.«
»He, bevor ich’s vergesse – könntest du, wenn du schon da oben bist, nach Informationen über die Whitmans Ausschau halten?«
»Du meinst die Missionare?«
»Genau die. Sie sind in das Land am Palouse River gekommen, um die Cayuse-Indianer, diese großartigen Reiter, zu bekehren. Sie hatten die besten Absichten, brachten ihnen aber aus Versehen die Masern. Rotteten den ganzen Stamm aus.«
»Fällt das wirklich in den Bereich deiner Obsession? Unabsichtlicher Massenmord?«
»Ungewöhnliche Fälle sind insofern von besonderem Nutzen, als sie uns helfen, die Grenzbereiche zu definieren.«
»Ich werde sehen, was ich über die Whitmans rauskriege.«
»Darf ich fragen«, sagt Avi, »warum du da hoch fährst? Familie besuchen?«
»Meine Großmutter zieht in ein Pflegeheim. Ihre Kinder kommen zusammen, um ihre Möbel und das alles aufzuteilen, was ich ein bisschen makaber finde, aber niemand kann etwas dafür und es muss ja getan werden.«
»Und du wirst dabei mitmachen?«
»Ich werde es, so gut es geht, vermeiden, ich vermute nämlich, dass die Frauen sich ganz schön angiften werden. Noch in ein paar Jahren werden einzelne Familienmitglieder nicht miteinander reden, weil sie Moms Gomer-Bolstrood-Kredenz nicht bekommen haben.«
»Was haben die Angelsachsen nur mit ihren Möbeln? Kannst du mir das erklären?«
»Ich gehe hin, weil wir in der Palawan Passage in einem gesunkenen Nazi-Unterseeboot eine Aktentasche mit einem Stück Papier gefunden haben, auf dem steht: WATERHOUSE – LAVENDER ROSE«.
Jetzt sieht Avi verblüfft aus, was Randy eine gewisse Befriedigung verschafft. Er steht auf, steigt in sein Auto und fährt los in Richtung Süden, die Küste hinunter, den langsamen, schönen Weg.
Orgel
Lawrence
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