Cryptonomicon
doppelt negativen Quadranten zurückkommt.
»Welcher Winkel liegt ganz genau zwischen der + x- und der + y- Achse?«, fragt Tante Nina. »Ich würde ja den Unparteiischen hier fragen, hege aber langsam Zweifel an seiner Objektivität.«
M.A. wirft Randy einen kurzen Blick zu und beschließt, dass er diesen letzten Kommentar am besten als harmloses innerfamiliäres Herumalbern interpretiert. »Möchten Sie es in Radianten oder in Grad ausgedrückt haben, Ma’am?«
»Weder noch. Demonstrieren Sie es mir einfach. Nehmen Sie diesen riesigen Schrankkoffer auf Ihre starken Schultern und gehen Sie genau auf der Mitte zwischen der + x- und der + y- Achse, bis ich Halt sage.«
»Ja, Ma’am.« M.A. hebt den Schrankkoffer hoch und geht los, wobei er sich häufig umsieht, um festzustellen, ob er auch genau in der Mitte ist. Robin schaut dem Ganzen aus sicherer Entfernung interessiert zu.
Onkel Red, der von seiner Pinkelpause zurückkommt, sieht es mit Entsetzen. »Nina! Liebes! Der ist doch die Frachtkosten nach Hause nicht wert! Was um alles in der Welt tust du da?«
»Dafür sorgen, dass ich bekomme, was ich will«, erwidert Nina.
Randy bekommt einen kleinen Teil von dem, was er will, als seine Mutter zwei Stunden später das Siegel an der KERAMIK-Kiste erbricht, um zu prüfen, ob das Porzellan noch in gutem Zustand ist. Zu dem Zeitpunkt stehen Randy und sein Vater neben dem Schrankkoffer. Die Wertfestlegungsarbeit seiner Eltern ist schon ziemlich weit fortgeschritten, so dass feine Möbelstücke jetzt weit verstreut auf dem Parkplatz stehen, ein Bild wie nach einem jener Tornados, die auf wundersame Weise Dinge intakt wieder absetzen, nachdem sie sie fünfzehn Kilometer weit durch die Luft gewirbelt haben. Randy sucht eifrig nach einem Weg, den emotionalen Wert des Schrankkoffers herauszustreichen, ohne seinen Objektivitätsschwur zu brechen. Die Chancen, dass irgendjemand anderes als Nina den Koffer am Ende bekommt, stehen ziemlich schlecht, da sie (zu Reds Entsetzen) fast alles außer ihm und der geliebten Truhe rund um den Ursprung hat stehen lassen. Wenn Dad das Ding aber wenigstens vom Nullpunkt wegbewegen würde – was außer Nina sonst niemand getan hat -, könnte Randy, falls der Tera es ihm morgen früh zuspricht, wenigstens glaubhaft argumentieren, das sei etwas anderes als ein Computerfehler. Doch Dad richtet sich im Wesentlichen nach Mom und will davon gar nichts wissen.
Mom hat sich mit den Zähnen die Handschuhe ausgezogen und schiebt mit magentaroten Händen Schicht um Schicht zerknülltes Zeitungspapier beiseite. »Oh, das Saucenschiffchen!« ruft sie aus, und hebt etwas hoch, was eher wie ein schwerer Kreuzer als wie ein Schiffchen aussieht. Randy stimmt mit Tante Nina überein, dass das Design wahrhaftig nur etwas für alte Damen ist, aber das ist irgendwie tautologisch, da er es nur im Haus seiner Großmutter gesehen hat, die, solange er sie kennt, immer eine alte Dame war. Aus irgendeinem Grund immer noch bemüht, den Unbeteiligten zu spielen, geht Randy, die Hände in den Taschen, zu seiner Mutter hinüber. Mit dieser fast zwanghaften Heimlichtuerei ist er womöglich etwas zu weit gegangen. Die Sauciere hat er vielleicht zwanzig Mal in seinem Leben gesehen, immer bei Familientreffen, und ihr Anblick wirbelt jetzt eine ganze Sandwolke von Gefühlen auf, die sich längst gelegt hatten. Er streckt die Arme aus und Mom legt ihm die Sauciere in seine in Fäustlingen steckenden Hände. Er tut, als bewundere er sie von der Seite, und dreht sie dann auf den Kopf, um die einglasierten Worte auf dem Boden lesen zu können. ROYAL ALBERT – LAVENDER ROSE.
Einen Augenblick lang schwitzt er unter einer senkrecht stehenden Sonne, schwankt hin und her, um auf einem schaukelnden Boot das Gleichgewicht zu halten, riecht das Neopren der Schläuche und Schwimmflossen. Dann ist er wieder in Palouse Country. Er fängt an zu überlegen, wie er das Computerprogramm sabotieren könnte, um sicherzustellen, dass Tante Nina bekommt, was sie will, damit sie ihm gibt, was von Rechts wegen ihm gehört.
Golgatha
Lieutenant Ninomiya trifft ungefähr zwei Wochen nach Goto Dengo in Begleitung mehrerer abgestoßener und zerschrammter Holzkisten in Bundok ein. »Was ist Ihr Spezialgebiet?«, fragt Goto Dengo und anstelle einer Antwort öffnet Lieutenant Ninomiya eine der Kisten, in der ein in sauberes, geöltes Leintuch eingeschlagener Theodolit zum Vorschein kommt. Eine zweite Kiste enthält einen ebenso
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