Cryptonomicon
Vegetation verborgen liegen. Ohne Diskussion halten Ninomiya und Goto Dengo auf den mittleren, den höchsten, zu. Sie erreichen ihn gegen halb drei am Nachmittag und wünschen sofort, sie hätten es nicht getan, denn die Sonne brennt fast senkrecht auf sie herab. Doch hier oben weht eine kühle Brise, und sobald sie sich mit improvisierten Burnussen schützen, ist es auszuhalten. Goto Dengo stellt das Dreibein und den Theodoliten auf, während Ninomiya mit seinem Sextanten die Sonne anpeilt. Er hat eine ziemlich gute deutsche Uhr, die er am Vormittag nach dem Funkspruch aus Manila gestellt hat, und das ermöglicht es ihm, den Längengrad zu ermitteln. Er berechnet ihn auf einem Stück Papier auf seinem Schoß und wiederholt das Ganze dann, um die Zahlen zu überprüfen, die er zugleich laut vorliest. Goto Dengo notiert sie in seinem Notizbuch, falls Ninomiyas Aufzeichnungen verloren gehen.
Um Punkt drei Uhr beginnt der Soldat auf dem Baum, mit dem Spiegel in ihre Richtung zu blinken: ein greller Funke aus einem dunklen Dschungelteppich, der ansonsten keine besonderen Merkmale aufweist. Ninomiya richtet den Theodoliten auf dieses Signal und notiert weitere Zahlen. In Verbindung mit verschiedenen anderen Daten aus Karten, Luftaufnahmen und Ähnlichem müsste er so in der Lage sein, Länge und Breite des Hauptschachts abzuschätzen.
»Ich weiß nicht, wie akkurat das Ganze wird«, sorgt er sich, während sie den Berg hinuntertrotten. »Die Werte für den Berg sind allerdings genau – wie haben Sie ihn doch gleich genannt? Kavallerieberg?«
»So ungefähr.«
»Kavallerie heißt doch berittene Soldaten, richtig?«
»Ja.«
»Aber die Lage des Schachts werde ich erst dann ganz genau bestimmen können, wenn ich bessere Methoden benutzen kann.«
Goto Dengo erwägt, ihm zu sagen, dass das überhaupt nichts ausmache und dass der Ort dazu gedacht sei, unterzugehen und vergessen zu werden. Aber er hält den Mund.
Die Vermessungsarbeiten dauern noch zwei Wochen. Sie ermitteln, wo das Ufer des Yamamoto-Sees sein wird und berechnen dessen Volumen. Es wird eher ein Teich als ein See werden – weniger als hundert Meter Durchmesser -, aber er wird von ungeahnter Tiefe sein und eine Menge Wasser enthalten. Sie berechnen den Winkel des Schachts, der den Seegrund mit dem Hauptnetz von Tunneln verbinden wird. Sie ermitteln, wo sämtliche waagrechten Tunnel aus den Wänden der Schlucht des Tojo-Flusses herauskommen werden, und stecken den Verlauf von Zufahrtswegen und Gleisen ab, die zu diesen Öffnungen führen werden, damit man Schutt abtransportieren und zwecks Lagerung wertvolles Kriegsmaterial heranschaffen kann. Sie überprüfen alles doppelt und dreifach, damit auch ja kein Teil der Anlage aus der Luft sichtbar sein wird.
Unterdessen haben Lieutenant Mori und ein kleiner Arbeitstrupp unten ein paar Pfosten eingeschlagen und Stacheldraht gespannt – gerade genug, um ungefähr hundert Gefangene festzuhalten, die auf zwei Militärlastwagen gepfercht eintreffen. Mit ihrem Einsatz erweitert sich das Lager rasch; nach wenigen Tagen stehen die Militärbaracken und der doppelte Stacheldrahtzaun wird fertig. An Nachschub scheint es ihnen nie zu fehlen. Als würde es an anderen Orten wie Rabaul nicht dringend gebraucht, trifft lastwagenweise Dynamit ein und wird unter Aufsicht von Goto Dengo sorgfältig gelagert. Gefangene tragen es in einen besonderen Schuppen, den man eigens zu diesem Zweck im Schatten des Dschungels errichtet hat. Goto Dengo hat zuvor keinen Kontakt zu den Gefangenen gehabt und bemerkt verblüfft, dass es allesamt Chinesen sind. Und sie sprechen nicht den Dialekt von Kanton oder Formosa, sondern einen, den Goto Dengo häufig gehört hat, als er in Schanghai stationiert war. Die Gefangenen sind Nordchinesen.
Es wird immer seltsamer, dieses Bundok.
Die Filipinos, das weiß er, waren über ihre Einbeziehung in die Großostasiatische Wohlstandssphäre alles andere als glücklich. Sie sind gut bewaffnet und MacArthur hat sie aufgestachelt. Viele Tausende von ihnen sind gefangen genommen worden. Keine Halbtagesfahrt von Bundok entfernt gibt es mehr als genug philippinische Gefangene, um Lieutenant Moris Lager zu füllen und Gotos Projekt auszuführen. Und dennoch haben die maßgeblichen Stellen Hunderte von Chinesen den ganzen Weg von Schanghai hierher transportieren lassen, um diese Arbeit zu verrichten.
Zu solchen Zeiten beginnt er an seinem Verstand zu zweifeln. Er verspürt den Drang, mit Lieutenant Ninomiya
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