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Cryptonomicon

Cryptonomicon

Titel: Cryptonomicon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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relativ intakten linken Flügelspitze der TWA-Maschine. Jetzt fällt Randy auf, dass das ganze Flugzeug in einer leichten Schräglage aufgehängt ist, so als nähme es eine kaum merkliche Kursänderung vor, was eigentlich gar nicht passt; ein senkrechter Sturzflug wäre plausibler, allerdings müsste das Haus dafür fünfzig Stockwerke hoch sein. In der Flügelhaut erkennt er ein sich wiederholendes Muster von Rissen, das ein Ausdruck für genau den Algorithmus zu sein scheint, der auch die sich wiederholenden Wirbel in einem Luftstrudel oder die Wirbel in einer Mandelbrot-Menge zu erzeugen scheint. Charlene und seine Freunde haben ihn immer damit aufgezogen, ein Platoniker zu sein, aber wohin er auch geht, überall findet er dieselben wenigen Idealformen gleichsam als Schattenbilder in der physischen Welt wieder. Vielleicht ist er auch nur dumm oder so.
    Dem Haus fehlt die Hand einer Frau. Aus Andeutungen, die Chester fallen gelassen hat, schließt Randy, dass die TWA-Maschine sich nicht als der erhoffte Gesprächsaufhänger erwiesen hat. Chester liebäugelt jetzt damit, über manchen der Trennwände des Hauses unechte Decken einzuziehen, damit dort der Eindruck von Zimmern entsteht, was, wie er einräumt, dazu führen könnte, dass »manche Leute« sich darin wohler fühlen und sich vielleicht sogar zu einem »längeren Aufenthalt« entschließen könnten. Er steht also offensichtlich in ersten Verhandlungen mit irgendeinem weiblichen Wesen, und das ist eine gute Nachricht.
    »Chester, vor zwei Jahren hast du mir in einer E-Mail von einem Vorhaben berichtet, das du gerade gestartet hattest, nämlich den Bau von Nachbildungen früher Computer. Du wolltest damals Informationen über die Arbeit meines Großvaters.«
    »Stimmt«, erwidert Chester. »Willst du das Zeug sehen? Ich habe es auf Sparflamme laufen lassen, aber...<
    »Ich habe gerade ein paar von seinen Notizbüchern geerbt«, sagt Randy.
    Chesters Augenbrauen gehen hoch. Amy schaut aus dem Fenster; ihr Haar, ihre Haut und ihre Kleidung nehmen von dem Dopplereffekt, der entsteht, als sie sich mit relativistischer Geschwindigkeit aus dem Gespräch ausklinkt, eine deutlich rötliche Färbung an.
    »Ich möchte wissen, ob du ein funktionierendes ETC-Karten-Lesegerät hast.«
    Chester schnaubt verächtlich. »Das ist alles?«
    »Das ist alles.«
    »Möchtest du ein 1932er Mark-III-Lesegerät? Oder ein 1938er Mark IV? Oder ein...«
    »Macht es irgendeinen Unterschied? Sie lesen doch alle dieselben Karten, oder?«
    »Ja, so ziemlich.«
    »Ich habe ein paar Karten aus der Zeit um 1945 und hätte sie gerne auf einer Floppy Disk abgespeichert, die ich dann mit nach Hause nehmen kann.«
    Chester greift zu einem Handy von der Größe einer Essiggurke und fängt an darauf einzuhacken. »Ich rufe meinen Kartenmann an«, erklärt er. »Pensionierter ETC-Ingenieur. Lebt auf Mercer Island. Kommt ein paar Mal die Woche mit seinem Boot her und bastelt an diesem Zeug rum. Er wird hellauf begeistert sein, dich zu treffen.«
    Während Chester mit seinem Kartenmann spricht, schaut Amy Randy mit einem nahezu undurchdringlichen Blick in die Augen. Sie wirkt etwas gedämpft. Erschöpft. Bereit, die Heimreise anzutreten. Gerade die mangelnde Bereitschaft, ihre Gefühle zu zeigen, ist ein deutliches Zeichen dafür. Vor dieser Reise hätte Amy noch behauptet, dass selbst die unmöglichsten Typen ihren Platz auf der Welt haben. Dem würde sie auch jetzt noch zustimmen. Aber Randy hat ihr in den letzten Tagen ein paar praktische Beispiele für diese Regel gezeigt, die sie erst nach einer gewissen Zeit in ihre Sicht der Welt wird einbauen können. Oder, was noch wichtiger ist, in ihre Sicht von Randy. Und tatsächlich fragt sie Chester, kaum dass er aufgelegt hat, ob sie das Handy benutzen kann, um einen Flug zu buchen. Dabei macht sie nur eine ganze flüchtige Augenbewegung nach oben zu der TWA-Maschine. Und nachdem Chester sein Erstaunen darüber, dass heutzutage überhaupt noch jemand mittels Sprachtechnologie irgendwelche Buchungen vornimmt, überwunden hat, nimmt er sie mit zum nächsten Computer (in jedem Raum steht ein voll ausgerüstetes UNIX-Gerät), klinkt sich direkt in die Datenbank der Fluggesellschaften ein und macht sich auf die Suche nach der optimalen Route für ihre Rückreise. Randy geht ans Fenster, starrt hinaus auf die Schaumkronen der kalten Wellen, die an den Schlammstrand schlagen, und kämpft gegen den Drang an, einfach hier in Seattle, einer Stadt, in der er sehr

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