Cryptonomicon
Lagerhalle ohne innere Mauern oder Trennwände – nur mit ein paar Pfeilern zum Abstützen der Decke. Um sie herum kann man Trennwände zur Aufteilung in einzelne Räume ziehen.«
»Wie Toilettenkabinen?«
»Selbes Prinzip, nur gehen hier die Trennwände höher, so dass man sich wie in einem richtigen Raum vorkommt. Natürlich reichen sie nicht bis ganz an die Decke. Sonst wäre nämlich kein Platz mehr für die TWA.«
»Die was?«, fragt Amy. Chester, der sie in das Labyrinth aus Trennwänden führt, antwortet, indem er den Kopf zurücklegt und seinen Blick senkrecht nach oben richtet.
Das Dach des Hauses ist ganz aus Glas gemacht, gestützt durch ein Trägerwerk aus weiß gestrichenen Stahlrohren. Es befindet sich etwa zwölf bis fünfzehn Meter über dem Boden. Die Trennwände sind ungefähr dreieinhalb Meter hoch. In dem Zwischenraum zwischen den Wänden und der Decke ist ein Gitter eingezogen worden, ein Gerüst aus roten Röhren, das fast so groß ist wie das Haus selbst. Tausende, Millionen von Aluminiumstückchen hängen in diesem weit gespannten Gitter, wie zerrissene Federbüschel in einem dreidimensionalen Netz. Es sieht aus wie eine Artilleriegranate von der Länge eines Fußballfeldes, die vor einer Mikrosekunde explodiert und auf der Stelle erstarrt ist; Licht sickert durch die Metallsplitter, tröpfelt an Bündeln zerfetzter Drähte entlang und wird grell von den Krusten geschmolzener und wieder hart gewordener Polster reflektiert. Es ist so riesig und so nah, dass Amy und Randy beim ersten Blick nach oben in der Erwartung, es würde auf sie stürzen, blinzeln müssen. Randy weiß bereits, was es ist. Aber Amy muss es lange betrachten und durch die einzelnen Räume streifen, um es aus verschiedenen Blickwinkeln zu sehen, bevor es in ihrem Kopf Gestalt annimmt und als etwas Vertrautes erkennbar wird: eine 747.
»Die FAA und die NTSB sind erstaunlich unkompliziert damit umgegangen«, sinniert Chester. »Was auch sinnvoll ist. Sie haben das Ding ja in einem Hangar rekonstruiert. Sind alle Teile einzeln durchgegangen, haben rausgefunden, wo sie hingehören, und sie an dieses Gitter gehängt. Sie haben das Ganze untersucht und sämtliche Spuren, die sie finden konnten, gesichert, haben alle menschlichen Überreste ausgespritzt und ordentlich beseitigt, die Trümmer sterilisiert, damit das Team, das die Absturzursache klären soll, nicht befürchten muss, durch die Berührung eines blutbespritzten Flanschs oder so etwas AIDS zu bekommen. Das ist jetzt erledigt. Und sie zahlen eine Art Miete für diesen Hangar. Sie können es nicht wegwerfen, sondern müssen es irgendwo aufheben. Ich brauchte mir für das Haus also lediglich eine amtliche Zulassung als Lagerhaus gemäß Bundesbestimmungen zu besorgen, was ein recht simples juristisches Verfahren war. Und wenn es zu einem Prozess kommt, muss ich die Anwälte reinlassen, um es zu untersuchen. Alles in allem war es aber wirklich kein Problem. Die Boeing-Typen sind begeistert, die sind ständig hier.«
»Für sie ist es wie eine Zuflucht«, vermutet Randy.
»Genau.«
»Dir gefällt diese Rolle.«
»Na klar! Ich habe eine Vorzugsdatenkonstellation eigens für Ingenieure aller Art definiert, die jederzeit herkommen und das Haus als Museum für überlebte Technik betreten können. Das meine ich mit dem Bild des Flex-Space. Für meine Gäste und mich ist es ein Zuhause. Für diese Besucher... da drüben ist gerade einer.« Chester deutet mit einer Armbewegung quer durch den Raum (es ist ein zentraler Raum, der auf einer Seite vielleicht fünfzehn Meter lang ist) auf einen typischen Ingenieur, der eine Hasselblad auf ein gewaltiges Stativ gesetzt hat und sie gerade nach oben auf eine verbogene Fahrgestellstrebe richtet. »...für sie ist es genau wie ein Museum mit Ecken, die sie betreten können, und anderen, bei denen, wenn sie eine bestimmte Linie überschreiten, ein Alarmsignal losgeht und sie in Schwierigkeiten bringt.«
»Gibt es einen Souvenirladen?«, witzelt Amy.
»Der Souvenirladen ist geplant, liegt aber noch in der Schublade – die LÜHV stellt einem alle möglichen Hindernisse in den Weg«, murmelt Chester.
Schließlich landen sie in einem relativ gemütlichen Raum, dessen Glaswände den Blick über den zerwühlten Schlamm hinweg auf den See freigeben. Chester wirft eine Espressomaschine an, die wie das maßstabsgetreue Modell einer Ölraffinerie aussieht und zwei Tassen Milchkaffee produziert. Dieser Raum liegt zufällig unter der noch
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