Cryptonomicon
jetzt einloggen. Hätte er es dabei mit einem schlecht gesicherten Großrechner zu tun, wie es sie früher im Internet zuhauf gab, könnte er einfach eine von dessen zahlreichen Sicherheitslücken ausnutzen und sich einen Weg hineinbahnen, so dass er, wenn seine Aktivitäten entdeckt würden, behaupten könnte, das sei nicht er gewesen, sondern irgendein Knacker, der ausgerechnet in dem Moment in die Maschine einbrach, als sie von der Polizei beschlagnahmt wurde. Randy hat jedoch die letzten Jahre seines Lebens damit zugebracht, Geräte wie dieses für Knacker uneinnehmbar zu machen, und deshalb weiß er, dass dieses Unterfangen aussichtslos wäre.
Außerdem hat es keinen Zweck, sich als irgendein alter Benutzer einzuloggen – also ein Gästekonto zu verwenden. Gäste dürfen nicht an Systemdateien herumhantieren. Um hier irgendwelche sinnvollen Beweismanipulationen vornehmen zu können, muss Randy sich als Superuser anmelden. Der Name des Superuser-Kontos ist dummerweise »randy«, und letztlich kann man sich nur einloggen, wenn man ein Passwort eingibt, das nur Randy kennt. Nachdem er also das Allerneueste an Verschlüsselungstechnologie und transozeanischen Paket-Funkvermittlungseinrichtungen verwendet hat, um seine Identität zu verschleiern, steht Randy nun vor der Notwendigkeit, seinen eigenen Namen in dieses verdammte Gerät einzutippen.
In seinem Kopf blitzt kurz ein kleines Szenario auf, in dem er eine anonyme Sendung an sämtliche laundry.org-Benutzer schickt und ihnen mitteilt, dass das Passwort für das »randy«-Konto bei »tombstone. epiphyte.com« so und so lautet, und sie dringend bittet, diese Information so schnell wie möglich über das ganze Internet zu verbreiten. Noch vor einer Stunde wäre das ein vernünftiger Gedanke gewesen. Jetzt ist es zu spät; jeder einigermaßen intelligente Ermittler würde mittels Abgleichung der Zeitangaben auf den Nachrichten beweisen können, dass das ganze nur zur Tarnung diente. Im Übrigen wird die Zeit knapp. Die Diskussion auf der anderen Straßenseite, auf diese Entfernung nur ein schrilles Stimmengewirr, steuert auf eine Art Höhepunkt zu.
Randy hat in der Zwischenzeit seinen Browser hochgefahren und die Homepage von ordo.net aufgerufen. Das ist normalerweise eine ziemlich langweilige Unternehmenshomepage, aber heute gibt es anstelle der ganzen Werbestreifen und täglichen Pressemeldungen ein Fenster mit einem Live-Farbvideo von dem, was sich vor dem Gebäude abspielt (oder besser, sich vor ein paar Sekunden abgespielt hat; da aber seine Richtfunkstrecke, über die das Video hereinkommt, eine jämmerlich geringe Bandbreite hat, verändert das Video sein Vollbild alle drei Sekunden). Es wird bei Ordo selbst erzeugt, wo sie natürlich eine Kamera aus dem Fenster gerichtet haben und die Bilder jetzt direkt über ihre eigene T3-Leitung raushauen.
Randy hebt gerade rechtzeitig den Blick, um zu sehen, wie der Typ, der den Begriff »virtuelle Realität« erfunden hat, im Gespräch mit dem Herausgeber des TURING Magazine den Parkplatz überquert. Nicht weit hinter ihnen folgt Bruce, ein Betriebssystemingenieur, der in seiner Freizeit Volksmusik aus Feuerland aufnimmt und im Internet kostenlos zur Verfügung stellt.
»Bruce!«, ruft Randy.
Bruce zögert und schaut sich in Randys Richtung um. »Randy«, sagt er.
»Warum bist du hier?«
»Es geht das Gerücht von einem Angriff der Feds auf Ordo«, antwortet Bruce.
»Interessant... Irgendwelcher bestimmter Feds?«
»Comstock«, sagt Bruce. Und meint damit Paul Comstock, dem in seiner Eigenschaft als Justizminister der Vereinigten Staaten das FBI untersteht. Randy glaubt dieses Gerücht zwar nicht, sucht aber unwillkürlich die Gegend nach Leuten ab, die in das allgemeine Profil von FBI-Agenten passen. Das FBI hasst und fürchtet starke Kryptographie. Jetzt ruft ein anderer Heimlicher Bewunderer dazwischen: »Ich hab Secret Service gehört!« Was auf gewisse Weise noch unheimlicher ist, denn der Secret Service ist ein Teil des Treasury Department und hat die Aufgabe, Missbrauch von Telekommunikationseinrichtungen zu verbrecherischen Zwecken zu bekämpfen und die nationale Währung zu schützen.
Randy sagt: »Wärst du vielleicht auch offen für die Möglichkeit, dass das Ganze ein Internet-Gerücht ist? Dass in Wirklichkeit gerade ein bestimmter Ausrüstungsgegenstand im Büro von Ordo, der Teil eines Rechtsstreits ist, beschlagnahmt wird?«
»Und warum sind dann diese vielen Polizisten hier?« fragt
Weitere Kostenlose Bücher