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Cryptonomicon

Cryptonomicon

Titel: Cryptonomicon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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dass es nicht die eigentlichen Meldungen, sondern Zufallszahlen waren. Jetzt, wo Randy das hat, was er für die eigentlichen Meldungen hält, könnte ihm vielleicht gelingen, was Earl Comstock während der Fünfzigerjahre versucht, aber nicht geschafft hat.
    Gerade schieben sie sich über den Terminator – nicht den Killer-Cyborg aus dem Kino, sondern die Linie zwischen Nacht und Tag, durch die unser Planet sich endlos dreht.Wenn Randy den Blick nach Osten wendet, kann er über den Rand der Welt hinaus auf Orte schauen, wo es dämmerig ist und die Wolken nur den rötesten Bruchteil des Sonnenlichts abbekommen, wo sie im Dunkeln kauern und doch von düsterem unterdrücktem Feuer leuchten wie Kohlen in ihren zarten Rüschen aus Asche. Das Flugzeug befindet sich immer noch im Tageslicht und wird beharrlich von rätselhaften regenbogenartigen Strahlen verfolgt, kleinen spektralen Doppelgängern – vermutlich irgendeine neue Überwachungstechnik der NSA. Auf Palawan fließen manche Flüsse blau und ungehindert in den Ozean und manche führen gewaltige Schwaden aus Erosionsmaterial mit sich, das sich fächerartig in den Ozean hinaus ausbreitet und von den Strömungen an den Strand hochgeschwemmt wird. Auf Kinakuta ist die Entwaldung nicht so stark wie hier, aber nur deshalb, weil es dort Öl gibt. Alle diese Länder verbrennen in einem Wahnsinnstempo Ressourcen, um ihre Wirtschaft anzuheizen, wobei sie darauf setzen, dass sie den Sprung in den Hyperraum – vermutlich irgendeine Ökonomie des Wissens – schaffen, bevor ihnen das Zeug zum Verkaufen ausgeht und ihnen dasselbe Schicksal widerfährt wie Haiti.
    Randy blättert die einleitenden Abschnitte des Cryptonomicon durch, kann sich im Flugzeug aber nie so recht konzentrieren. Die ersten Abschnitte sind Militärhandbüchern aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs entnommen. Bis vor zehn Jahren waren sie noch geheim, doch dann fand einer von Cantrells Freunden Exemplare davon mitten in einer Bibliothek in Kentucky und fuhr mit einer Riesenladung Münzen hin, um sie zu fotokopieren. Das brachte die öffentliche zivile Kryptoanlayse auf den Wissensstand, den der Staat in den Vierzigerjahren erreicht hatte. Die Fotokopien wurden eingescannt, von einer OCR-Software analysiert und in das für die Erstellung von Webseiten gebräuchliche HTML-Format gebracht, damit andere Leute Links, Randnotizen, Bemerkungen und Korrekturen einfügen können, ohne am Originaltext herumzubasteln, und das haben sie mit Begeisterung getan – was ja schön und gut ist, aber das Lesen des Ganzen schwierig macht. Der Originaltext ist in einer bewusst kritzeligen, altmodischen Schrift gesetzt, damit man ihn auf Anhieb von den Anmerkungen der Cyberära unterscheiden kann. Die Einführung zum Cryptonomicon wurde vermutlich vor Pearl Harbor von einem Typ namens William Friedman geschrieben und steckt voller Aphorismen, die wahrscheinlich dazu gedacht waren, Neulinge unter den Codeknackern davor zu bewahren, sich nach einer harten Woche des Ringens mit den neuesten japanischen Maschinencodes eine Granate an den Kopf zu hauen.
    Die Tatsache, dass der naturwissenschaftlich Forschende fünfzig Prozent seiner Zeit mit nichtrationalen Mitteln arbeitet, wird anscheinend nicht hinreichend zur Kenntnis genommen.
     
    Intuition dauert wie ein Blitzstrahl nur eine Sekunde lang. Normalerweise stellt sie sich ein, wenn man sich mit einer schwierigen Entschlüsselung abquält und im Kopf die bereits angestellten fruchtlosen Versuche Revue passieren lässt. Plötzlich bricht das Licht durch und man findet nach wenigen Minuten, was die vergangenen Tage harter Arbeit nicht zu offenbaren vermochten.
     
    Und Randys Lieblingssatz:
    Was Glück betrifft, lautet die alte Goldgräberweisheit: »Gold ist da, wo man es findet.«
     
    So weit, so gut, aber dann blickt Randy nach mehrmaligem Betätigen der Page-down-Taste auf endlose gestaffelte Raster aus Zufallsbuchstaben (eine Art vordigitale Methode der Codierung), die der Autor nicht in das Dokument eingefügt hätte, wenn sie dem Leser nicht irgendetwas Sinnvolles vermitteln sollten. Randy ist schmerzlich bewusst, dass er, solange er nicht imstande ist, diese Raster zu lesen, nicht einmal einem Kryptoanalyse-Neuling aus dem Zweiten Weltkrieg das Wasser reichen kann. Die verwendeten Nachrichtenbeispiele lauten: FLUGZEUG ÜBER DEM MEER ALS VERMISST GEMELDET und TRUPPEN HABEN SCHWIERIGKEITEN, KONTAKT ZU FÜNFUND-VIERZIGSTER INFANTERIE ZU HALTEN, was Randy ein bisschen

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