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Cryptonomicon

Cryptonomicon

Titel: Cryptonomicon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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er hat von Anfang an seine eigene Hypothese vertreten, die sehr viel interessanter und eigenartiger ist. Sie besagt, dass die Sklaven insgesamt gleichsam als Zahnrädchen einer größeren Rechenmaschine fungierten, wobei jeder einen kleinen Teil einer komplexen Berechnung durchführte: Zahlen von einem Rechner empfing, eine arithmetische Operation vornahm, neue Zahlen produzierte, sie an einen anderen Rechner weitergab.
    Central Bureau ist in der Lage, die Identität von fünf der toten Sklaven festzustellen. Sie stammen aus Orten wie Saigon, Singapur, Manila und Java, doch gemeinsam ist ihnen, dass es sich ethnisch gesehen um Chinesen und außerdem um Ladenbesitzer handelte. Offensichtlich hatten die Japaner ein weites Netz nach geübten Abakus-Benutzern ausgeworfen und sie aus der gesamten Gemeinsamen Wohlstandssphäre auf diese Insel in der Manila Bay gebracht.
    Waterhouse spürt in den Ruinen von Manila selbst einen Rechner auf, einen gewissen Mr. Gu, dessen kleines Import-Export-Geschäft vom Krieg ruiniert wurde (es ist schwer, ein solches Geschäft zu betreiben, wenn man sich auf einer Insel befindet und jedes Schiff, das die Insel verlässt oder sich ihr nähert, von Amerikanern versenkt wird). Waterhouse zeigt Mr. Gu Fotos von den Abakus, wie sie von den toten Rechnern zurückgelassen worden sind. Mr. Gu sagt ihm, welche Zahlen sich hinter den Positionen der Kugeln verbergen, und erteilt Waterhouse außerdem ein mehrtägiges Tutorium in grundlegenden Abakus-Techniken. Dessen wichtigstes Ergebnis ist nicht so sehr der gekonnte Umgang mit dem Abakus als vielmehr die Erkenntnis, mit welcher Geschwindigkeit und Präzision ein Rechner wie Mr. Gu Berechnungen durchführen kann.
    Mittlerweile hat Waterhouse das Problem auf reine Daten reduziert. Etwa die Hälfte davon befindet sich in seinem Gedächtnis, die andere Hälfte ist auf seinem Schreibtisch verstreut. Zu den Daten gehören sämtliche von den Rechnern zurückgelassene Notizzettel. Die Zahlen auf den Notizzetteln den auf den Abakus zurückgebliebenen Zahlen zuzuordnen und so eine Momentaufnahme der Berechnungen zu gewinnen, die in diesem Raum im Gange waren, als die Apokalypse hereinbrach, ist nicht so schwierig – jedenfalls nicht nach den Maßstäben von Schwierigkeit, die in Kriegszeiten gelten und nach denen es beispielsweise als einfach angesehen wird, mehrere tausend Männer und tonnenweise Ausrüstung auf einer fernen Insel zu landen, diese Insel schwer bewaffneten, selbstmörderischen japanischen Truppen abzunehmen und dabei nur ein paar Dutzend Leute zu verlieren.
    Ausgehend davon ist es möglich (wenngleich schon schwieriger) zu verallgemeinern und hinter den zugrunde liegenden mathematischen Algorithmus zu kommen, der die Zahlen auf den Abakus erzeugt hat. Waterhouse wird mit der Handschrift einiger Rechner vertraut und gewinnt Anhaltspunkte dafür, dass Notizzettel von einem Rechner zum anderen und von da aus zu wieder einem anderen weitergereicht wurden. Einige Rechner hatten Logarithmentafeln an ihrem Arbeitsplatz, ein wirklich wichtiger Hinweis darauf, was sie taten. Auf diese Weise ist er imstande, eine Karte des Raums zu zeichnen, auf der jeder Arbeitsplatz eines Rechners eine Nummer trägt, und ein Netz von Pfeilen, die den Papier- und Datenfluss verdeutlichen, der die einzelnen Arbeitsplätze miteinander verbindet. Das hilft ihm, sich die gemeinsame Berechnung als Ganzes vorzustellen und nachzuvollziehen, was in dieser unterirdischen Kammer vor sich ging.
    Wochenlang geht es nur stückchenweise vorwärts, dann, eines Abends, geht in Lawrence Waterhouses Kopf ein Schalter an und er weiß auf irgendeine vorbewusste Weise, dass er kurz vor einer Lösung steht. Er arbeitet vierundzwanzig Stunden lang. Mittlerweile hat er viele Anhaltspunkte für – und keinen gegen – die Hypothese gefunden, dass es sich bei der Berechnung um eine Variante einer Zeta-Funktion handelt. Er schläft sechs Stunden lang, steht auf und arbeitet weitere dreißig. Inzwischen ist er dahinter gekommen, dass es sich eindeutig um eine Art Zeta-Funktion handelt, und es ist ihm gelungen, mehrere ihrer Konstanten und Terme zu bestimmen. Jetzt hat er es fast. Er schläft zwölf Stunden lang, steht auf, macht einen Gang durch Manila, um einen klaren Kopf zu bekommen, geht wieder an die Arbeit und schuftet sechsunddreißig Stunden am Stück. Das ist der Teil, der Spaß macht, wenn große, aus Fragmenten mühevoll zusammengebosselte Stücke des Puzzles sich plötzlich

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