Cryptonomicon
versuchen sie, Goto Dengo anzuwerben. Den Mann, der, so darf man getrost annehmen, das Gold vergraben hat.
Vor drei Tagen haben die Abhörer in Waterhouses Abteilung einen kurzen, hektischen Austausch von Funksprüchen zwischen einem irgendwo in Manila versteckten und einem mobilen Sender im Südchinesischen Meer aufgefangen. Catalinas wurden zu Letzerem dirigiert und fingen zunächst schwächer werdende Radarechos auf, fanden jedoch nichts, als sie an der fraglichen Stelle eintrafen. Ein Team reisender Codeknacker stürzte sich auf die Funksprüche und versuchte, ihnen mit brutaler Gewalt beizukommen. Lawrence Pritchard Waterhouse, der alte Hase, machte einen Spaziergang am Ufer der Manila Bay. In der Bucht erhob sich plötzlich eine Brise. Er blieb stehen, um sich das Gesicht kühlen zu lassen. Eine Kokosnuss fiel von einem Baum und knallte drei Meter von ihm entfernt auf den Boden. Waterhouse machte auf dem Absatz kehrt und ging ins Büro zurück.
Kurz bevor der hektische Austausch von Arethusa-Funksprüchen begann, saß Waterhouse in seinem Büro und hörte Armed Forces Radio. Der Sender meldete, dass drei Tage später, zu der und der Zeit, auf dem großen neuen Friedhof in Makati die Beerdigung des Helden Bobby Shaftoe stattfinden werde.
Mit den frisch abgefangenen Arethusa-Funksprüchen setzte er sich an seinen Schreibtisch und machte sich an die Arbeit, wobei er FUNERAL als Schlüsselwort benutzte: Wenn diese Gruppe von sieben Buchstaben sich mit FUNERAL entschlüsseln lässt, was ergibt sich dann für den Rest des Funkspruchs? Kauderwelsch? Okay, wie steht’s mit dieser Gruppe von sieben Buchstaben?
Selbst mit diesem Geschenk, das ihm da in den Schoß gefallen war, brauchte er zweieinhalb Tage ununterbrochener Arbeit, um die Funksprüche zu entschlüsseln. Der erste, von Manila aus gesendete, lautete: BEERDIGUNG UNSERES FREUNDES SAMSTAG ZEHN DREISSIG US MILITÄRFRIEDHOF MAKATI.
Die Antwort des Unterseeboots: WERDE DA SEIN SCHLAGE VOR GD ZU INFORMIEREN.
Erneut richtet er das Fernrohr auf Goto Dengo. Der japanische Ingenieur hat den Kopf gesenkt und die Augen fest geschlossen. Vielleicht beben seine Schultern, vielleicht wirkt es aber auch nur aufgrund der Hitzewellen so.
Doch dann strafft sich Goto Dengo und macht einen Schritt in Richtung der Verschwörer. Er bleibt stehen. Dann macht er noch einen Schritt. Dann noch einen. Wie durch ein Wunder wird seine Haltung immer gerader. Es scheint ihm mit jedem Schritt besser zu gehen. Er geht immer schneller, bis er fast läuft.
Lawrence Pritchard Waterhouse ist schwerlich ein Gedankenleser, aber er kann sich leicht ausmalen, was Goto Dengo gerade denkt: Ich habe eine Last auf den Schultern und sie erdrückt mich. Und nun werde ich diese Last an jemand anderen weiterreichen. Verflucht! Bischoff und Rudi von Hacklheber gehen ihm mit enthusiastisch ausgestreckter rechter Hand entgegen. Bischoff, Rudi, Enoch und Goto Dengo schließen sich zu einem Grüppchen zusammen, und das praktisch auf Bobby Shaftoes Grab.
Es ist eine Schande. Waterhouse hat Bobby Shaftoe gekannt und hätte gern im Stehen an seiner Beerdigung teilgenommen, anstatt hier so herumzuschleichen. Aber Enoch Root und Rudi würden ihn erkennen. Waterhouse ist ihr Feind.
Ist er das tatsächlich? In einem Jahrzehnt voller Hitlers und Stalins fällt es schwer, sich über eine Verschwörung Sorgen zu machen, an der anscheinend ein Priester beteiligt ist und die ihre ganze Existenz aufs Spiel setzt, damit ihre Angehörigen an der Beerdigung eines Mitverschwörers teilnehmen können. Waterhouse dreht sich auf dem Grab irgendeines Toten auf den Rücken und grübelt darüber nach. Wenn Mary hier wäre, würde er ihr das Dilemma vorlegen und sie würde ihm sagen, was er tun soll. Aber Mary ist in Brisbane und sucht Brautjungfernkleider und Porzellanmuster aus.
Als er das nächste Mal einen dieser Männer sieht, ist es einen Monat später und er befindet sich auf einer Lichtung im Dschungel, ein paar Stunden südlich von Manila. Waterhouse kommt als Erster dorthin und verbringt eine verschwitzte Nacht unter einem Moskitonetz. Am Morgen trifft, vom Nachtmarsch vergrätzt, ungefähr die Hälfte von Bischoffs Unterseeboot-Besatzung ein. Wie von Waterhouse erwartet, haben sie einen ziemlichen Bammel vor einem Überfall des hiesigen Huk-Kommandanten, der unter dem Namen Krokodil bekannt ist, und stellen daher ein paar Wachen im Dschungel auf. Deshalb hat sich Waterhouse auch die Mühe gemacht, vor
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