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Cryptonomicon

Cryptonomicon

Titel: Cryptonomicon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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Baldachins ein. Der Boden hier besteht aus einer Art sedimentärem Felsen, in den stellenweise Granitbrocken eingelagert sind, wie gemischte Nüsse in halb geschmolzener Schokolade. Wahrscheinlich ist es nichts weiter als ein Grind aus erstarrter Asche und Sediment auf einem Monolithen aus hartem Fels. Die im Flussbett Marschierenden kommen nur noch sehr langsam voran. Mal befinden sie sich im Wasser und kämpfen gegen eine starke Strömung an, dann wieder suchen sie sich von Fels zu Fels einen Weg oder weichen auf bröckelnde Gesimse aus härterem Gestein aus, die hier und da von den Ufern vorspringen. Alle paar Minuten blickt Doug auf und stellt Blickkontakt zu Jackie Woo und John Wayne her – die sich wohl mit Herausforderungen ganz eigener Art herumschlagen, da sie manchmal hinter die Hauptgruppe zurückfallen. Die Bäume scheinen nur noch höher zu werden, während sich die Gruppe in die Berge vorarbeitet, und mittlerweile wird ihre Höhe noch dadurch betont, dass sie auf einem Ufer wurzeln, das sich zwei, fünf, zehn und dann zwanzig und dreißig Meter über den Fluss erhebt. Nun ragt das Ufer sogar über die Marschierenden hinaus: Die Schlucht ist eine weitgehend im Boden versenkte Röhre, die sich nur durch einen schmalen Schlitz nach oben zum Himmel hin öffnet. Aber es ist fast Mittag, die Sonne scheint nahezu senkrecht darauf herab und beleuchtet alles, was von den Höhen hier heruntergelangt. Die Leiche eines gemordeten Insekts schwebt vom oberen Baldachin herab wie die erste Schneeflocke des Winters. Wasser, das von den Rändern des überhängenden Ufers herabsickert, bildet einen Tropfenvorhang und jeder Tropfen glitzert wie ein Diamant und macht es fast unmöglich, die dunkle Höhle dahinter zu erkennen. Zwischen den fallenden Tropfen gaukeln gelbe Schmetterlinge, ohne je getroffen zu werden.
    Sie kommen um eine sanfte Biegung des Flusses und stehen unvermittelt vor einem ungefähr zwanzig Meter hohen Wasserfall. Am Fuße des Wasserfalls liegt ein stiller, relativ flacher Teich, der den Grund einer breiten, von den konkaven, überhängenden Ufern gebildeten melonenförmigen Höhlung füllt. Die senkrecht stehende Sonne leuchtet geradewegs auf die weiße Gischtwolke am Fuß des Wasserfalls herab, die ihren Schimmer in blendender Helle zurückwirft und so eine Art natürlicher Lichtquelle bildet, welche das ganze Höhleninnere erleuchtet. Die vom Grundwasser schwitzenden, tropfenden und triefenden Wände glänzen in ihrem Schein. Die Unterseiten der Farne und großblättrigen Pflanzen – Epiphyten -, die ohne erkennbaren Halt den Wänden entsprießen, flackern und schillern in dem unheimlich bläulichen schaumigen Glühen.
    Die Wände der Höhlung sind größtenteils hinter Vegetation verborgen: zarte, herabwallende Moosschleier, die auf dem Fels wachsen, Ranken, die von den Zweigen der Bäume hundert Meter über ihnen herabhängen und halb in die Schlucht herabbaumeln, wo sie sich in vorspringenden Baumwurzeln verheddert und ein natürliches Spalier für ein feineres Netzwerk von Kriechpflanzen gebildet haben, das seinerseits Kette und Schuss eines verfilzten, von Grundwasser gesättigten Moosteppichs ist. Die Schlucht wimmelt von Schmetterlingen, die in Farben von radioaktiver Reinheit strahlen, und näher am Wasser finden sich Schlankjungfern, meist mit schwarzen und grünlichblauen Leibern, die in der Sonne blitzen – ihre Flügel lassen an den Unterseiten eine Ahnung von Lachs- und Korallenrot erkennen, während sie sich umeinander drehen. Hauptsächlich aber ist die Luft gefüllt vom unaufhörlichen, langsamen Fortgang alles dessen, was nicht überlebt hat und durch die Luftsäule ins Wasser hinabgelangt, das es fortschwemmt: tote Blätter und die Exoskelette von Insekten, ausgesogen und entleibt in einem stummen Kampf, der sich hundert Meter über ihnen abspielt.
    Randy hat nach wie vor ein Auge auf die Anzeige des GPS, das es schwer hat, hier unten in dieser Schlucht Satellitensignale aufzufangen. Doch schließlich werden ein paar Zahlen angezeigt. Er lässt das Gerät die Entfernung von seinem Standort bis Golgatha berechnen und die Antwort erscheint sofort: eine lange Reihe von Nullen, an deren rechtem Ende sich ein paar unbedeutende Ziffern verlieren.
    Randy sagt: »Das ist es.« Aber seine Worte werden weitgehend von einer heftigen Explosion am Ufer hoch über ihnen übertönt. Ein paar Sekunden später beginnt ein Mann zu schreien.
    »Keiner rührt sich«, sagt Doug Shaftoe, »wir sind in

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