Cryptonomicon
oben Jackie verstärken. Zusammen finden wir diesen Loeb.« Es ist klar, dass »finden« an dieser Stelle ein Euphemismus für eine wahrscheinlich lange Liste unerfreulicher Operationen ist. Das Ufer besteht aus weichem, erodiertem Gestein, aus dem an vielen Stellen harter vulkanischer Fels vorspringt, und indem Doug von Vorsprung zu Vorsprung kraxelt, hat er sich in der Zeit, die Enoch Root braucht, um eine sichere Stelle zu finden, an der sie die Füße aufsetzen können, schon halb das Ufer hinaufgehangelt. Höchst ungern wäre Randy der Bursche, der gerade einen Pfeil in Doug Shaftoes Tochter geschossen hat. Der Überhang hält Doug einen Moment lang auf; doch dann traversiert er ein kurzes Stück und erreicht so ein Gewirr von Baumwurzeln, das fast so gut ist wie eine Leiter nach oben.
»Sie zittert«, verkündet Randy. »Amy zittert.«
»Sie steht unter Schock. Legen Sie ihr den Kopf tief und die Beine hoch«, sagt Enoch. Randy legt Amy zurecht und verliert das blutbeschmierte Bein beinahe aus dem Griff.
Eines der Themen, über das sich Goto Dengo bei ihrem Essen in Tokio ausließ, war die japanische Sitte, Bäche in Gärten durch Versetzung von Steinen gewissermaßen zu stimmen. Das Geräusch eines Baches wird erzeugt von Mustern im Fluss des Wassers und diese Muster kodieren das Vorhandensein von Steinen im Bachbett. Randy sah darin einen Anklang an das Wind-Phänomen in Palouse und sagte das auch, und Goto Dengo hielt die Bemerkung entweder für schrecklich tiefsinnig oder er war nur höflich. Jedenfalls verändert sich ein paar Minuten später das Geräusch des sie umfließenden Wassers und so blickt Randy natürlich flussaufwärts, wo er ungefähr vier Meter von ihnen entfernt einen Mann im Wasser stehen sieht. Der kahl rasierte Kopf des Mannes ist sonnenverbrannt und so rot wie eine Dreier-Billardkugel. Er trägt, was einmal ein durchaus anständiger Straßenanzug war, nun aber praktisch eins mit dem Dschungel geworden ist: Das Kleidungsstück ist mit rotem Schlamm getränkt, der es so schwer gemacht hat, dass es sich völlig außer Form zieht, während sein Träger sich schwankend in stehende Haltung aufrichtet. Er hat eine riesenlange, dem Stab eines Zauberers gleichende Stange. Er hat sie ins Flussbett gestemmt und zieht sich Hand über Hand daran hoch. Als er ganz aufrecht steht, sieht Randy, dass sein rechtes Bein knapp unter dem Knie endet, obwohl noch ein paar Zentimeter von Schienund Wadenbein hervorstehen. Die Knochen sind versengt und gesplittert. Aus Stöcken und einer Hundert-Dollar-Seidenkrawatte, die Randy schon in den Auslagen von Duty-free-Shops auf Flughäfen gesehen zu haben meint, hat sich Andrew Loeb eine Aderpresse gebastelt. Sie hat den Blutfluss aus seinem Beinstumpf auf ein Maß gedrosselt, das etwa dem vergleichbar ist, was man beim Aufbrühen aus einem Mr. Coffee herauskommen sieht. Sobald sich Andy vollständig aufgerichtet hat, lächelt er strahlend und beginnt, sich auf Randy, Amy und Enoch zuzubewegen, indem er auf seinem unverletzten Bein hüpft und sich auf den Stab stützt, um nicht hinzufallen. In der freien Hand hält er ein riesiges Messer: Bowie-Größe, aber mit sämtlichen Extra-Dornen, Sägeblättern, Blutrinnen und anderen Merkmalen, die zu einem wirklich erstklassigen Kampf- und Survival-Messer gehören.
Weder Enoch noch Amy sehen Andrew. In diesem Augenblick kommt Randy schlagartig die Einsicht, die Doug ihm vorhin hat vermitteln wollen, nämlich dass die Fähigkeit, jemanden zu töten, im Grunde eine Frage der Einstellung und nicht der physischen Mittel ist; ein Serienmörder mit ein paar Metern Wäscheleine ist bei weitem gefährlicher als ein Cheerleader mit einer Panzerfaust. Randy ist sich mit einmal sicher, dass er die Einstellung jetzt hat. Die Mittel allerdings hat er nicht.
Und damit ist das Problem auch schon auf den Punkt gebracht. Die Bösen haben in aller Regel die Mittel.
Andy schaut ihm genau in die Augen und lächelt ihn an, exakt das gleiche Lächeln, das man im Gesicht eines alten Bekannten sehen würde, dem man zufällig gerade im Menschengewühl eines Flughafens begegnet. Im Näherkommen bewegt er das Messer in seiner Hand, um den richtigen Griff für die Art von Angriff zu finden, den er gleich führen wird. Es ist dieses Detail, das Randy endlich aus seiner Trance reißt und ihn veranlasst, Amy von seinen Schultern gleiten und hinter sich ins Wasser fallen zu lassen. Andrew Loeb macht einen weiteren Schritt vorwärts und setzt seinen
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