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Cryptonomicon

Cryptonomicon

Titel: Cryptonomicon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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nicht.«
    »Wären Sie bereit zu töten?«
    »Na ja«, sagt Randy, ein wenig bestürzt, »ich habe gesagt, ich wäre nicht bereit zu sterben. Also -«
    »Verschonen Sie mich bloß mit diesem Scheiß von wegen goldene Regel«, sagt Doug. »Wenn jemand mitten in der Nacht in Ihr Haus einbricht und Ihre Familie bedroht und Sie haben eine Schrotflinte in der Hand, benutzen Sie sie dann?«
    Randy blickt unwillkürlich zu Amy hin. Denn hier geht es nicht nur um eine ethische Rätselfrage. Es handelt sich auch um einen Test, mit dem festgestellt werden soll, ob Randy sich als Ehemann von Dougs Tochter und Vater von dessen Enkeln eignet. »Na, das will ich doch hoffen«, sagt Randy. Amy tut so, als höre sie nicht zu.
    Das Wasser um sie herum spritzt plötzlich klatschend auf. Alles zuckt zusammen. Dann wird ihnen klar, dass jemand von oben eine Hand voll kleiner Kiesel heruntergeworfen hat. Sie blicken zum Rand des Überhangs auf und sehen eine winzige, hin und her gehende Bewegung: Jackie Woo, der oben auf dem Ufer steht und ihnen zuwinkt.
    »Meine Augen lassen nach«, sagt Doug. »Sieht er für euch unverletzt aus?«
    »Ja!«, sagt Amy. Sie strahlt – ihre Zähne schimmern in der Sonne perlweiß – und winkt zurück.
    Jackie grinst. In der einen Hand hat er eine lange, schlammbeschmierte Gerte: seine Minensonde. In der anderen hat er einen schmutzigen Behälter, ungefähr so groß wie eine Tontaube. Er hält ihn hoch und schwenkt ihn durch die Luft. »Japanische Mine!«, ruft er fröhlich.
    »Dann leg sie gefälligst hin, du Arschloch!«, brüllt Doug. »Nach so vielen Jahren ist sie bestimmt furchtbar instabil.« Dann nimmt sein Gesicht einen Ausdruck ungläubiger Verwirrung an. »Wer zum Teufel hat dann die andere Mine ausgelöst, wenn du es nicht warst? Irgendwer hat da oben geschrien.«
    »Ich habe ihn nicht gefunden«, sagt Jackie Woo. »Er hat zu schreien aufgehört.«
    »Meinst du, er ist tot?«
    »Nein.«
    »Hast du noch andere Stimmen gehört?«
    »Nein.«
    »Mein Gott«, sagt Doug, »jemand hat uns den ganzen Weg über beschattet.« Er dreht sich um und blickt zum gegenüberliegenden Ufer auf, wo John Wayne sich mittlerweile bis an die Kante vorgetastet hat und den ganzen Wortwechsel mitbekommt. Es folgt ein Austausch von Handzeichen zwischen ihnen (sie haben Walkie-Talkies dabei, aber Doug verschmäht sie als Krücken für Leichtgewichte und Schmalspurhelden). John Wayne legt sich auf den Bauch, holt ein Fernglas mit Objektiv-Linsen so groß wie Untertassen hervor und beginnt, Jackie Woos Seite abzusuchen.
    Die Gruppe im Flussbett tastet sich eine Zeit lang schweigend weiter. Keiner von ihnen wird so recht schlau aus den Vorgängen, daher ist es gut, dass die Minensuche Hände und Verstand beschäftigt. Randys Sonde trifft auf etwas Elastisches, das ein paar Zentimeter tief in Schlick und Kies vergraben ist. Er zuckt so heftig zusammen, dass er sich beinahe auf den Hintern setzt, und braucht ein, zwei Minuten, um seine Fassung wiederzugewinnen. Der Schlick verleiht allem das konturlose, aber suggestive Aussehen eines mit einem Laken zugedeckten Leichnams. Der Versuch, die Formen zu identifizieren, ermüdet seinen Verstand. Er schiebt etwas Kies zur Seite und lässt die Hand leicht über den Gegenstand gleiten. Durch das Wasser torkeln tote Blätter, die ihn an den Unterarmen kitzeln. »Ich hab hier einen alten Reifen«, sagt er. »Groß. Lastwagengröße. Und glatt wie ein Ei.«
    Von Zeit zu Zeit stößt ein bunter Vogel aus dem Schatten des überhängenden Dschungels herab und blitzt in der Sonne auf, was ihnen regelmäßig einen Heidenschiss einjagt. Die Sonne ist brutal. Randy war, als das Ganze anfing, nur ein paar Meter vom Uferschatten entfernt, und mittlerweile ist er sich ziemlich sicher, dass ihn ein Sonnenstich umwerfen wird, ehe er dorthin gelangt.
    Irgendwann fängt Enoch Root an, auf Lateinisch vor sich hin zu murmeln. Randy schaut zu ihm hinüber und sieht, dass er einen tropfenden, schlammbeschmierten Menschenschädel hochhält.
    Ein schillernder hellblauer Vogel mit gelbem, aus einem schwarzund orangefarbenen Kopf ragendem Krummschnabel schießt aus dem Dschungel, landet auf einem nahe gelegenen Felsen und sieht ihn mit schräg gehaltenem Kopf an. Erneut bebt die Erde; Randy zuckt zusammen und aus seinen Augenbrauen fällt ein Perlenvorhang von Schweiß.
    »Unter den Steinen und dem Schlamm ist Stahlbeton«, sagt Doug. »Ich kann die Anschlusseisen rausstehen sehen.«
    Erneut kommt ein Vogel

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