Cryptonomicon
angebotenen koffeinhaltigen Getränke ab und wird zu gegebener Zeit in Das Zimmer geführt, wo Der Obermotz und Die Anderen ihn erwarten. Sie werden nach einem bestimmten System vorgestellt, für das Der Gast sich nicht zu interessieren braucht, weil er im passiven Modus operiert und nur auf Außenreize reagieren, d.h. sämtliche ihm hingehaltenen Hände schütteln, sämtliche weiteren, ihm angebotenen koffeinhaltigen und (mittlerweile auch) alkoholischen Getränke ablehnen und sich, wenn und wo dazu aufgefordert, hinsetzen muss. In diesem Falle sind Der Obermotz und alle Anderen bis auf einen zufällig Briten, die Getränkeauswahl ist etwas anders, das Zimmer ist, weil britisch, aus Steinklötzen wie von der Grabkammer eines Pharaos zusammengefügt und die Fenster weisen die üblichen, wenig überzeugenden Klebebandstreifen auf. Die Phase der abgedroschenen Scherze ist viel kürzer als in Amerika, die Phase oberflächlichen Geplauders länger.
Waterhouse hat die Namen sämtlicher Anwesender vergessen. Die Namen vergisst er jedes Mal gleich wieder. Selbst wenn er sie sich merken könnte, würde er ihre Bedeutung nicht kennen, da er kein Organigramm des Außenministeriums (das für den Nachrichtendienst zuständig ist) und des Militärs vor sich liegen hat. Sie sagen in einem fort »Wou-ta-heiß«, doch als er sich gerade zu fragen beginnt, was das wohl bedeuten mag, kommt er dahinter, dass dies ihre Aussprache von »Waterhouse« ist. Abgesehen davon dringt ihm nur eine Bemerkung wirklich unter die Großhirnrinde, als nämlich einer der Anderen etwas über den Premierminister sagt, das auf eine erhebliche Vertrautheit schließen lässt. Dabei ist der Sprecher nicht einmal der Obermotz. Der Obermotz ist viel älter und distinguierter. So gewinnt Waterhouse den Eindruck (obwohl er längst aufgehört hat, allen diesen Leuten zuzuhören), dass gut die Hälfte der Anwesenden kürzlich eine Unterredung mit Winston Churchill hatte.
Dann plötzlich finden bestimmte Worte Eingang in das Gespräch. Waterhouse hat nicht aufgepasst, aber er ist sich ziemlich sicher, dass innerhalb der letzten zehn Sekunden das Wort Ultra gefallen ist. Er blinzelt und setzt sich aufrechter hin.
Der Obermotz wirkt verwirrt. Die Anderen wirken verblüfft.
»War vor ein paar Minuten nicht die Rede davon, dass es Kaffee gibt?«, fragt Waterhouse.
»Miss Stanhope, Kaffee für Captain Wou-ta-heiß«, sagt der Obermotz in eine elektrische Gegensprechanlage. Es ist eine von nur einem halben Dutzend Büro-Gegensprechanlagen im britischen Empire. Sie ist jedoch in einen soliden Block aus hundert Pfund Eisen eingegossen und wird von 420-Volt-Kabeln gespeist, die so dick sind wie Waterhouses Zeigefinger. »Und wenn Sie bitte so freundlich wären, Tee zu bringen.«
Damit weiß Waterhouse immerhin schon, wie die Sekretärin des Obermotz heißt. Das ist ein Anfang. Davon ausgehend müsste er mit ein bisschen Forschungsaufwand imstande sein, die Erinnerung an den Namen des Obermotz wiederzugewinnen.
Das Ganze scheint die Konferenz in die Phase oberflächlichen Geplauders zurückgeworfen zu haben, worüber amerikanische hohe Tiere erbost und frustriert wären, die Briten offenbar jedoch enorm erleichtert sind. Es werden sogar weitere Getränke bei Miss Stanhope bestellt.
»Haben Sie in letzter Zeit einmal Dr. Shehrrrn gesehen?«, will der Obermotz von Waterhouse wissen. In seiner Stimme liegt ein Anflug von Besorgnis.
»Wen?« Dann gehtWaterhouse auf, dass die fragliche Person Commander Schoen ist und dass der Name hier in London wahrscheinlich korrekt, nämlich Shehrrn anstatt Shane ausgesprochen wird.
»Commander Waterhouse?«, sagt der Obermotz mehrere Minuten später. Waterhouse hat auf die Schnelle versucht, ein neues Kryptosystem zu erfinden, das auf alternativen Systemen der Aussprache von Wörtern basiert, und schon seit einer ganzen Weile nichts mehr gesagt.
»Ach so, ja! Also, ich habe vor meiner Einschiffung kurz bei Schoen vorbeigeschaut und ihm guten Tag gesagt. Wenn er, äh, nicht ganz auf der Höhe ist, hat natürlich jeder strengen Befehl, mit ihm nicht über Kryptologie zu reden.«
»Natürlich.«
»Das Problem ist, wenn sich die ganze Beziehung mit diesem Menschen um die Kryptologie herum aufbaut, kann man im Grunde nicht mal den Kopf zur Tür hereinstecken, ohne gegen diesen Befehl zu verstoßen.
»Ja, das ist höchst unangenehm.«
»Ich denke, es geht ihm ganz gut.« Waterhouse sagt das nicht sehr überzeugend, und so tritt
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