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Cugel der Schlaue

Cugel der Schlaue

Titel: Cugel der Schlaue Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Vance
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eine Einführung über Lausicaa und die Stadt Pompodouros.
    »Jene unter euch, die diese Insel schon einmal besuchten – und ich glaube nicht, daß es viele sind –, werden meine Mahnung, ja Warnung verstehen. Kurz gesagt, ihr werdet feststellen, daß gewisse Sitten und Gebräuche dieser Inselbewohner sich von unseren unterscheiden. Wie sie euch auch vorkommen mögen, seltsam, widersinnig, lächerlich, abscheulich, erfreulich oder nachahmenswert, wir müssen sie beachten und uns nach ihnen richten, denn ganz gewiß werden die Lausicaaner sich nicht uns anpassen.«
    Kapitän Baunt wandte sich lächelnd an Madame Soldinck und ihre drei Töchter: »Da meine Belehrung hauptsächlich für die Männer bestimmt ist und ich möglicherweise einiges zur Sprache bringen muß, das als geschmacklos erachtet werden könnte, aber wissensnotwendig ist, kann ich Sie, meine Damen, nur um Nachsicht bitten.«
    Soldinck rief schroff: »Genug des Herumgeredes, Baunt! Sprecht frei heraus. Schließlich sind wir alle einsichtig, auch Madame Soldinck.«
    Kapitän Baunt wartete, bis das Lachen verstummte. »Nun gut! Werft einen Blick auf den Kai dort! Ihr seht drei Personen unter einer Straßenlaterne stehen. Alle drei sind Männer. Ihre Gesichter sind unter Kapuzen und hinter Schleiern verborgen. Für diese Vorsichtsmaßnahme gibt es einen Grund: die Leidenschaftlichkeit der hiesigen Frauen. Derart ist ihr Wesen, daß die Männer nicht wagen dürfen, ihr Gesicht zu entblößen, wollen sie nicht unbeherrschbare Gefühle wecken. Weibliche Voyeure gehen soweit, daß sie durch die Fenster der Klubhäuser spähen, wo die Männer zusammenkommen, um Bier zu trinken, und wo sie manchmal ihre Gesichter teilweise enthüllen.«
    Madame Soldinck und ihre Töchter lächelten nervös. »Wie ungewöhnlich!« rief Madame Soldinck. »Benehmen Frauen jeder Gesellschaftsschicht sich auf diese Weise?«
    »Ohne Ausnahme.«
    Meadhre fragte schüchtern: »Haben die Männer ihre Gesichter auch verhüllt, wenn sie einen Heiratsantrag machen?«
    Kapitän Baunt überlegte: »Soweit ich weiß, wurde diese Frage nicht aufgeworfen.«
    »Es erscheint mir kein guter Ort für eine glückliche Kindheit«, meinte Madame Soldinck.
    »Offenbar leiden die Kinder nicht ernsthaft unter diesen Zuständen«, beruhigte Kapitän Baunt sie. »Bis zum zehnten Jahr kann man Knaben manchmal bargesichtig sehen, doch selbst in diesen jungen Jahren werden sie vor abenteuerlustigen kleinen Mädchen geschützt. Mit zehn jedenfalls ›gehen sie unter den Schleier‹, wie man es hier nennt.«
    »Wie verdrießlich für die Mädchen!« seufzte Salasser.
    »Und würdelos!« sagte Tabazinth heftig. »Angenommen, mir fiele ein scheinbar gutaussehender junger Mann auf, ich liefe ihm nach, überwältigte ihn und müßte feststellen, nachdem ich ihm Schleier und Kapuze heruntergerissen habe, daß er schiefe gelbe Zähne, eine riesige Knollennase und eine niedrige Stirn hat. Was dann? Ich würde mir töricht vorkommen, einfach aufzustehen und davonzugehen.«
    Meadhre meinte: »Du könntest ihm sagen, du wolltest nur, daß er dir erklärt, wie du zum Schiff zurückfindest.«
    »Wie auch immer«, fuhr Kapitän Baunt fort, »die Frauen von Lausicaa haben Methoden entwickelt, das Gleichgewicht wiederherzustellen. Hört zu:
    Die Männer haben eine Vorliebe für Spralinge – das sind kleine, köstliche Bidechtile. Sie schwimmen früh am Morgen an der Meeresoberfläche. Die Frauen stehen deshalb schon vor Morgengrauen auf, waten ins Wasser und fangen so viele Spralinge, wie nur möglich, dann kehren sie in ihre Hütten zurück.
    Die Frauen, die mit einem guten Fang heimgekehrt sind, machen Feuer und hängen Schilder auf, wie: HEUTE FRISCHE SPRALINGE oder SPRALINGE, KÖSTLICH ZUBEREITET.
    Die Männer schlendern herum, und wenn sie schließlich Hunger bekommen, halten sie bei einer der Hütten an, wo sie sich einen Imbiß nach ihrem Geschmack erhoffen. Wenn der Spraling frisch und die Gesellschaft angenehm ist, bleiben sie vielleicht auch noch bis nach dem Abendessen.«
    Madame Soldinck rümpfte die Nase und redete leise auf ihre Töchter ein, die lediglich die Schultern zuckten und die Köpfe schüttelten.
    Soldinck kletterte zwei Stufen des Niedergangs hoch. »Kapitän Baunts Mahnung darf nicht auf die leichte Schulter genommen werden!« rief er. »Wenn ihr an Land geht, Männer, dann zieht einen Umhang oder ein unförmiges Gewand an und verhüllt eure Gesichter irgendwie, um kein ungeziemendes Benehmen oder

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