Cugel der Schlaue
gerundete Kehrseite, eine erstaunlich schmale Taille, ein niedliches rundes Gesicht, von dicken schwarzen Locken umgeben, und rosige Lippen, die ständig geschürzt waren, als unterdrückte sie ein Kichern. Sie trug ein Tablett, das sie auf dem Tischchen neben dem Bett absetzte. Mit einem schüchternen Blick über die Schulter wollte sie wortlos die Kabine verlassen. Cugel hielt sie zurück.
»Tabazinth, meine Schöne! Es ist ein herrlicher Morgen, und ich werde auf dem Achterdeck frühstücken. Du darfst Madame Soldinck sagen, sie kann nun das Steuerrad festzurren und sich ausruhen.«
»Ich werde es ausrichten, Herr.« Tabazinth griff wieder nach dem Tablett und verließ damit die Kabine.
Cugel stand auf, rieb sein Gesicht mit Duftwasser ein, spülte den Mund mit einem von Soldincks sorgsam ausgewählten Balsamen aus und hüllte sich in einen Morgenrock aus blaßblauer Seide. Er lauschte ... Schwerfällig stapfte Madame Soldinck den Niedergang herab. Durch das innere Bullauge beobachtete Cugel, wie sie zu der Kabine schlurfte, die zuvor Oberwurminger Drofos gewesen war. Sobald sie außer Sicht verschwunden war, trat Cugel auf das Mitteldeck. Tief und genußvoll atmete er die kühle Morgenluft ein, dann kletterte er zum Achterdeck hoch.
Ehe er sich zum Frühstücken niedersetzte, trat er an die Heckreling und begutachtete die See und den Fortschritt des Schiffes. Von Horizont zu Horizont war das Wasser glatt, und nur das Spiegelbild der Sonne war zu sehen. Das Kielwasser bildete einen geraden Streifen – ein Zeichen, daß Madame Soldinck am Steuerrad sehr anstellig war –, und das Ruder stand genau südwärts.
Cugel nickte zufrieden. Madame Soldinck könnte ein tüchtiger Rudergänger werden. Dafür war sie als Wurminger kaum geeignet, während ihre Töchter gerade noch zu gebrauchen waren.
Nun setzte er sich, um zu frühstücken. Eine nach der anderen hob er die Silberhauben, um festzustellen, was ihm heute vorgesetzt wurde: Kompott aus verschiedenen gewürzten Früchten, gebratene Seevogelleber, Dristbrei mit Rosinen, süßsauer eingelegte Lilienknollen und kleine schwarze Pilze, dazu verschiedenerlei Gebäck. Ein mehr als angemessenes Frühstück, das gewiß Meadhre zubereitet hatte, die älteste und fleißigste der drei Töchter. Das eine Mal, als Cugel Madame Soldinck zum Küchendienst gezwungen hatte, waren die Speisen schier ungenießbar gewesen, so daß er davon Abstand genommen hatte, sie noch einmal in der Kombüse einzusetzen. Cugel ließ sich Zeit beim Frühstück. Zwischen ihm und dem Rest der Welt herrschte ein wundervoller Einklang, etwas, das solange wie möglich erhalten bleiben, genossen und gewürdigt werden mußte. Zu Ehren dieses herrlichen Zustands hob Cugel die wertvolle, hauchdünne Teetasse und nippte an dem bernsteinfarbigen Getränk, das aus Soldincks Mischung ausgesuchtester Teeblätter gebrüht war.
»Ja, so ist es richtig!« freute sich Cugel. Vorbei war die Vergangenheit; die Zukunft mochte schon morgen enden, erlosch die Sonne. Doch jetzt war jetzt und mußte gebührend geschätzt werden.
»Ja, so ist es richtig!« wiederholte er.
Und doch ... Unsicher blickte er über die Schulter. Gewiß war es richtig und angemessen, den Augenblick zu genießen, aber wenn der Höhepunkt erreicht war, gab es nur noch den Niedergang.
Selbst jetzt, ohne greifbaren Grund, spürte Cugel eine gespenstische Spannung in der Luft, gerade am Rand seines Bewußtseins, als wäre irgend etwas schiefgegangen.
Er sprang hastig auf und schaute über die Backbordreling. Die Würmer, auf Halbköder gesetzt, schwammen langsam, ohne sich anzustrengen. Alles schien hier in Ordnung zu sein, auch beim Steuerbordwurm, nach dem er ebenfalls schaute. Nachdenklich kehrte Cugel zu seinem Frühstück zurück.
Er beschäftigte sich eingehend mit dem Problem: Was hatte dieses nagende Unbehagen in ihm geweckt? Das Schiff war in bestem Zustand; Essen und Trinken ließen nichts zu wünschen übrig; Madame Soldinck und ihre Töchter hatten sich offenbar mit ihren aufgezwungenen Pflichten abgefunden, und Cugel beglückwünschte sich, daß er alles gütig, aber fest in der Hand hielt.
Anfangs, nach ihrem unerwarteten Aufbruch, hatte Madame Soldinck sich fürchterlich aufgeführt und ihn mit Beschimpfungen überhäuft, bis Cugel sich gezwungen sah einzuschreiten, und wenn nur, um für Ruhe an Bord zu sorgen. »Madame«, sagte er. »Euer Gezetere stört uns alle. Es muß aufhören!«
»Du bist ein Halunke! Ein Ungeheuer!
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