Cugel der Schlaue
Hand an den Laternenpfahl und bot so eine ansehnliche Silhouette gegen die Sonnenuntergangsstimmung. Die hohen Wolken hatten nun die Farbe alten Blutes angenommen. Bestimmt waren sie Vorboten des Sturms. Da war es vielleicht angebracht, das Segel zu reffen.
Das Abendrot erlosch. Cugel grübelte über die Seltsamkeit der Reise nach. Den ganzen Tag südwärts zu fahren und am nächsten Morgen in Gewässern aufzuwachen, die weiter nordwärts waren als zu Beginn des vergangenen Tages, war wahrhaftig unnatürlich … Wenn man von Magie absehen wollte, welche vernünftige Erklärung gab es dann? Ein riesiger Meeresstrudel? Ein umgekehrt funktionierendes Steuerrad?
Von den Überlegungen, die Cugel durch den Kopf gingen, war doch eine unwahrscheinlicher als die andere. Bei einem besonders widersinnigen Einfall lachte er spöttisch, ehe er ihn zur Seite schob wie die anderen, sogar noch etwas unvorstellbareren … Plötzlich durchzuckte es ihn, und er beschäftigte sich noch einmal damit, denn erstaunlicherweise paßte die Theorie zu allen Tatsachen.
Außer in einem wichtigen Umstand.
Die Theorie ging von der Voraussetzung aus, daß es mit Cugels Klugheit nicht weit her war. Wieder lachte er, aber gar nicht mehr so selbstsicher, und dann hörte er ganz auf.
Die Rätsel und Paradoxa dieser Reise waren nun gelöst. Es sah ganz so aus, als wären Cugels angeborene Ritterlichkeit und Anständigkeit ausgenutzt und sein Vertrauen gegen ihn gewandt worden. Doch nun würde er den Spieß umdrehen!
Das Klingeln von Silberglöckchen kündete sein Abendessen an. Cugel zögerte noch einen Moment für einen letzten Blick rund um den Horizont. Der Wind blies kräftiger und peitschte kleine Wellen gegen den breiten Bug.
Langsam ging Cugel heckwärts. Er stieg zum Achterdeck hoch, wo Madame Soldinck gerade ihre Wache übernahm. Cugel nickte ihr knapp zu, was sie jedoch nicht beachtete. Er blickte auf das Steuerruder. Der Anzeiger deutete auf »Süd«. Dann trat Cugel an die Heckreling und blickte scheinbar gleichmütig zurLaterne hoch. Keine Ölschale, doch das hatte nichts zu bedeuten. Er sagte zu Madame Soldinck: »Ein steifer Wind hilft den Würmern.«
»Mag sein.«
»Der Kurs ist weiterhin schnurgerade nach Süden.«
Madame Soldinck gönnte ihm keine Antwort. Cugel stieg zu seinem Abendmahl hinunter, das seinen Anforderungen in jeder Beziehung entsprach. Es wurde von der »Nachtstewardeß« Salasser serviert, die Cugel nicht weniger liebreizend als ihre Schwestern fand. An diesem Abend hatte sie ihr Haar auf die Art der spanssischen Korybanten frisiert und trug ein einfaches weißes Gewand, das mit einer goldenen Kordel um die Taille zusammengehalten wurde – eine Gewandung, die ihre zierliche Gestalt betonte. Von den drei Mädchen verfügte Salasser vermutlich über den schärfsten Verstand, und ihre manchmal etwas drollige Plauderei beeindruckte Cugel durch ihre Frische und Feinsinnigkeit.
Salasser setzte Cugel die Nachspeise vor: eine Fünfschichtentorte, jede Lage von anderem Geschmack. Während Cugel diese Köstlichkeit genoß, machte Salasser sich daran, ihm die Schuhe auszuziehen.
Er zog seine Füße zurück. »Ich werde meine Schuhe noch eine Weile anbehalten!«
Salasser hob erstaunt die Brauen. Gewöhnlich war Cugel nur allzu bereit, die Bequemlichkeit des Bettes zu suchen, sobald er seine Nachspeise zu sich genommen hatte.
Heute aber schob Cugel die Torte beiseite, ehe er auch nur die Hälfte gegessen hatte. Er sprang auf, rannte aus der Kajüte zum Achterdeck, wo er Madame Soldinck ertappte, wie sie gerade die Laterne anzündete.
Grimmig sagte Cugel: »Ich dachte, ich hätte mich klar genug ausgedrückt!« Ohne auf Madame Soldincks heftigen Widerspruch zu achten, griff er in dieLaterne, holte die Ölschale heraus und warf sie weit ins Dunkel.
Daraufhin kehrte er in die Kabine zurück. »Jetzt darfst du mir die Schuhe ausziehen«, sagte er zu Salasser.
Eine Stunde später schwang er sich aus dem Bett und hüllte sich in den Morgenrock. Salasser stützte sich auf die Knie. »Wo willst du hin? Ich habe mir etwas Neues ausgedacht, das dir gefallen wird.«
»Ich bin sogleich zurück«, versicherte er ihr.
Erneut ertappte Cugel Madame Soldinck auf dem Achterdeck, diesmal als sie die Kerze anzünden wollte, die sie in die Laterne gestellt hatte. Cugel riß die Kerze heraus und schmiß sie ins Meer.
»Was macht Ihr da?« rief Madame Soldinck. »Ich brauche das Licht zum Steuern!«
»Der Anzeiger schimmert, richtet
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