Curia
gelangten auf einen Treppenabsatz, der im Mondlicht lag. Hinter einem Mauerspalt sah man den Sternenhimmel. Der Conte machte sich an einem Türschloss zu schaffen, und sie waren im Freien, auf einer Galerie, die rings um die Kuppel lief. Die Marmorsäulen des Portikus umrahmten einen Erker aus dem Mittelalter mit Ziegeldächern, gewundenen Gässchen und Türmen mit Zinnen.
Der Conte schloss die Tür hinter ihnen. »Schnell, da entlang.«
Sie liefen rings um die Galerie, hinter ihnen dröhnten Schläge gegen die Tür.
»Die gibt jeden Moment nach«, keuchte Konstantine hinter Théo. »Und jetzt?«
Der Conte lief weiter, ohne zu antworten. Théo blickte über die Brüstung. Das Dach unterhalb der Galerie bedeckte den Teil des Doms, der sich rechts von der Kuppel erstreckte. Hinter der Dachtraufe lag der Abgrund. Fluchtwege? Er sah keinen. Eine Falle des Conte Fulgenzi? Was sollte er mit dem Kästchen machen?
Nachdem sie einen Halbkreis zurückgelegt hatten, standen sie vor einer Mauer. Hier endete die Galerie. Konstantine packte den Conte am Arm.
»Wenn das eine Falle ist, können Sie …«
»Jetzt lassen Sie mich doch machen!« Der Conte schob Konstantine beiseite und richtete die Lampe auf den Boden. Der Strahl wanderte suchend über die Steinplatten, zwischen denen büschelweise Klee wuchs. Der Conte kniete nieder und griff in den Klee. Ein eiserner Ring kam zum Vorschein. Er zog mit aller Kraft daran. Eine Falltür. Der Lichtkegel leuchtete in die Öffnung einer engen, runden senkrecht abfallenden Röhre und traf auf die Sprossen einer kleinen eisernen Leiter. Von der Galerie kam ein krachendes Geräusch, dann hörte man schnelle Schritte.
»Runter, sofort!«, sagte der Conte und reichte Konstantine die Taschenlampe.
Konstantine verschwand in dem dunklen Rund. Dann stieg Théo und zuletzt der Conte hinein. Während er hinunterkletterte, blickte Théo hoch, wo der Conte gerade die Falltür über ihren Köpfen schloss. Ein dumpfes Poltern hallte durch den ganzen Schacht, und Dunkelheit umgab sie, nur schwach vom Licht der Taschenlampe erhellt. Théo war, als müsse er an der feuchten Wärme, dem Schimmelgeruch und seiner Angst vor der Dunkelheit ersticken. Wenige Augenblicke später hörten sie Fußtritte über ihren Köpfen, gefolgt von einer gedämpften Stimme: »Was ist das denn, sind sie davongeflogen?«
Théo schlug das Herz bis zum Hals, das Hemd klebte ihm am schweißbedeckten Rücken, und der Ekel verursachte ihm Magenkrämpfe. Der Conte rief Konstantine zu, er solle mit der Lampe nach unten leuchten und anhalten, sobald er auf der letzten Sprosse angekommen war.
»Ich bin da«, sagte Konstantine. »Das ist die letzte. Darunter sehe ich Dachziegel. Was soll ich tun?«
»Lassen Sie sich sehr langsam von der Leiter herab«, sagte der Conte von oben. »Das Dach fällt steil ab, es ist gefährlich.«
Théo spähte nach unten. Endlich. Durch den Ausgang des Stollens sah er das Mondlicht. Konstantine steckte sich die Taschenlampe in den Hosengürtel und ließ sich dann, an die letzte Sprosse geklammert, auf das Dach herab, bis die Ziegel unter seinem Gewicht knarrten. Théo reichte ihm das Kästchen und ließ sich ebenfalls herunter. Sie standen auf halber Höhe auf einer abfallenden Dachfläche, über sich den Himmel und tief unter sich die leere Straße. Besser als die Dunkelheit war es allemal. Aus der Röhre tauchten die Beine des Conte auf.
»Folgen Sie mir.« Gut zwanzig Meter balancierten sie über das Dach. In einer Fensterscheibe spiegelte sich das Mondlicht. Eine Gaube. Der Conte bückte sich, hantierte an dem Fensterschloss und stieß es auf. Er kletterte als Erster hindurch.
Sie waren auf einem Dachboden. Der Strahl der Taschenlampe glitt über ein mit Spinnweben bedecktes Porträt Johannes XXIII., eine vom Rost zerfressene Olivetti Lettera 22 und eine Reihe verstaubter Akten mit dem Wappen des Erzbistums und Aufschriften in Sütterlinschrift.
»Dieser Häuserblock grenzt an den Erzbischöflichen Palast«, sagte der Conte. »Das Erzbistum hat ein paar Stockwerke gemietet.« Er drehte an einem Knauf. Die Tür war abgeschlossen. Er bückte sich, um das Schloss zu inspizieren. »Wir brauchen etwas, um es auszuhebeln.« Suchend fuhr er mit der Taschenlampe über den Dachboden und entdeckte eine Stange. »Dieses Ding scheint mir wie geschaffen dafür.«
Théo ging die Stange holen. Als er zurückkehrte, stieß er gegen eine Anrichte. Ein Stapel Porzellanteller geriet ins Wanken. Imbecille .
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