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Curia

Curia

Titel: Curia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oscar Caplan
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bist wie deine Ruinen?«
    »Von allen Religionen musstest du dir unbedingt die beschissenste aussuchen, was? Siehst du denn nicht, dass sie verlogen ist bis auf die Knochen, dass sie zum Kotzen ist? Meinen Glückwunsch, connard . Ich sehe, dass Edmond mal wieder zugeschlagen hat. Ein Fick in San Francisco, das Konzert Nr. 1 von Bruch in London, den Jaguar mit dem gefälschten Nummernschild auf 180 Stundenkilometer bringen und drei Vaterunser in Notre-Dame. Ego te absolvo .« Er rieb sich theatralisch die Hände. »Für wen? Für was? Im Namen einer selbst verliehenen moralischen Autorität, auf dem Rücken eines armen Teufels, den man zwang, Dinge zu sagen, die er sich niemals hätte träumen lassen, und das alles ist sein Verdienst!«
    »Du hältst dich für den moralischsten Menschen überhaupt, was? Kriegst mit vier Jahren einen Stockschlag von einer Nonne, und was machst du? Du gibst ihr Tritte und verfluchst die katholische Kirche. Ein Polizist haut dir mit dem Gummiknüppel eins über den Schädel, weil du vor der Sorbonne Radau machst, und du verprügelst ihn und sagst dich von der Gesellschaft los. Es lebe der Rächer der Nacht, der sich an den Brücken der Seine rumtreibt, Steine auf Polizisten schmeißt und die Reifen ihrer Autos zersticht. Kompliment für deinen Seelenfrieden, großer Bruder.«
    »Jugendsünden. Warum gehst du nicht lieber mit mir nach Dublin in die Chester Beatty Library? Oder in die John Rylands Library von Manchester? Da kannst du mit eigenen Augen sehen, wie die ›Kirchenväter‹ und ihre Schreiberlinge – diese großen Helden – deine Evangelien zusammengebastelt haben, indem sie allen Blödsinn reinstopften, der ihnen gelegen kam. Und dann sag mir, wer von uns beiden innerlich tot ist!«

    Er wollte gerade anfangen, das lateinische Pergament zu lesen, als das Telefon klingelte. »Ja, Commissario … Einverstanden«, sagte er verdrossen, »in einer halben Stunde bin ich bei Ihnen.«
    Er steckte den Ordner in seine Aktentasche und hielt inne. Vankos Randbemerkungen in den Büchern über Archäologie fielen ihm ein. Nach so vielen Recherchen musste sein Bruder zu einer Schlussfolgerung gekommen sein. Warum hatte er nichts dazu geschrieben und ihm hinterlassen? Das passte nicht zu Vanko.
    Er schlug den schwarzen Ordner wieder auf und durchsuchte dessen Inhalt. Es gab nur den Brief und die Pergamente. Sein Blick fiel auf den hanffarbenen Umschlag. Ein Zettel. Er musste aus dem Ordner gerutscht sein. Es waren Notizen in Vankos Handschrift.

    Zweifacher Exodus?
    Moses/Freud;
    Heliopolis/Haus des Phönix/Nische Bibliothek/Halle der Aufzeichnungen?
    Cleopatra’s Needle, London;
    Carter/Grab des Tutanchamun/fehlender Papyrus;
    Essener/Kupferrolle/Schatz des Großen Aton-Tempels?
    Klöster Berg Athos?
    Traum von Thutmosis IV./Schule der Mysterien Thoths/Amsterdam;
    Echnatons Grab;
    Dom von Siena/Intarsien des Doms?
    Kloster San Marco, Florenz (Pater Montague). Archive?
    […]

    Merde . Wären diese Notizen nicht von Vanko geschrieben worden, er hätte sie für das irre Gerede eines aus der Neurologie der Salpêtrière geflohenen Verrückten gehalten.

    Was um alles in der Welt verband all diese Punkte? Was hatte Freud mit Moses zu tun? Und was Amsterdam mit einem Pharao der 18. Dynastie? Einer Intarsie im Dom von Siena? Was war der »fehlende Papyrus«? Was gab es auf dem Berg Athos?
    Als er wieder auf der Straße war, ging Théo in die erste Telefonzelle und wählte eine Durchwahlnummer im Louvre.
    » Salut , Michaela … Nein, noch ein paar Tage. Ich muss mich noch um den Leichnam meines Bruders kümmern … Du müsstest etwas für mich nachprüfen, bitte. Schreib … Nein, das hier ist wichtiger. Lass das andere liegen.«
    Er trat aus der Zelle und ging in Richtung eines Taxistandes. Vom Buch Exodus ausgehen? Von einem Mythos? Was hatte das für einen Sinn? Mythen waren der ewige Wunsch des Menschen, die Wirklichkeit nach seinem Bedürfnis umzuschreiben: Sie waren hartnäckig, heimtückisch, widersprachen der Vernunft und der Geschichte. Dennoch waren sie mächtiger als die Geschichte. Keine Archäologie kam gegen sie an: Wenn die Fakten nicht mit den Dummheiten übereinstimmten, die in seiner DNA steckten, würde der Mensch noch den absurdesten Mythen Glauben schenken und alles nachbeten außer der Wahrheit. Individuelle Lügen, kollektive Lügen, Mythen … Die ewige menschliche Komödie. Die Fußgängerampel schaltete auf Rot.
    Aber wie entstanden Mythen? Konnte man ausschließen,

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