Curia
dass eine wirkliche Begebenheit zum Ursprung eines Mythos wurde? Nein, das konnte man nicht. Manchmal gründete sich ein Mythos auf dem versunkenen Teil der Geschichte und gewann im Lauf der Zeit die Oberhand. Warum sollte man dann ausschließen, dass hinter dem Exodus eine wahre Begebenheit steckte? Die Ampel wurde wieder grün.
Auf dem Bürgersteig gegenüber stand ein blonder junger Mann mit Brille und Gymnasiastengesicht vor einem Zeitungskiosk und blätterte mit zerstreutem Gebaren im »Messaggero«. Er faltete die Zeitung zusammen, steckte sie sich unter den Arm und schlug dieselbe Richtung ein wie Théo.
4 Monsignore Guzman legte das Rasiermesser auf die Ablage im Badezimmer, trocknete sein Gesicht und musterte sich im Spiegel. Sein Blick glitt über die Kinnlade, den Brustkorb und den Rücken eines Wettkampfschwimmers.
Den Körperbau eines Mannes wie George C. Scott, nicht wie diese Weicheier von Jungpriestern aus der Produktion des Vatikans. Und genau so muss der Generalprälat des Opus Dei sein : fuerte, animoso, viril.
Er besprengte sich das Gesicht mit Aftershave und versetzte sich einige leichte Schläge auf die Wangen.
Der Papst ist alt und krank. Er wird die Schuhe des Fischers nicht mehr lange tragen. Das Konklave naht. Von den hundertzwanzig wahlberechtigten Kardinälen sind siebenundachtzig unsere Leute. Hinter den Türen der Sixtinischen Kapelle wird der Heilige Geist den Kardinälen den Namen unseres Mannes einflüstern, den Namen eines Mannes, der gehorchen wird, ohne Zicken zu machen, wie der polnische Papst. Jawohl. Obediencia incondicional, wie zu Zeiten des Generalissimus.
Er zog das Hemd aus grauem Leinen an, fädelte das Kollar in den Kragen und schlüpfte in die Bischofssoutane.
Das Leck St. Pierre muss unverzüglich gestopft werden. Wir können uns nicht erlauben, ein solches Risiko einzugehen, vor allem jetzt nicht. Wo anfangen? Im Archiv natürlich, diesem Nest von Verschwörern. Doch hören wir erst, was Pater Pinkus zu sagen hat.
Er knöpfte die Soutane zu, band den Purpurgürtel um die Taille und betrachtete sich wieder im Spiegel. Dann streckte er die Hand aus und nahm die Geißel von der Wand – ein Bündel Schnüre, auf die Kugeln aus rohem Holz gezogen waren. Er trat auf die Schwelle. Ein einzelner Sonnenstrahl fiel auf die Büste von Julius Cäsar. Was hätte er an seiner Stelle getan? Zwei sirrende Peitschenhiebe zerschnitten die Luft.
Pater Rollo Pinkus, der Sekretär des Generalrats des Opus Dei, ein Mann von untersetztem, schmächtigem Körperbau mit dem Blick eines Frettchens, nippte im Speisesaal der Villa Tevere an einem Glas Milch. Als Monsignore Guzman eintrat, sprang der Pater auf.
Der Monsignore goss sich Kaffee aus einer silbernen Kanne ein, hob den Deckel der Warmhalteplatte und bediente sich. Dann setzte er sich Pater Pinkus gegenüber.
»Nun, Pater, was haben Sie im Restaurierungslabor entdeckt?«
Pater Pinkus beugte sich zum Monsignore vor. »Monsignore, die Restaurierung des Pergaments von Theophilos war sowohl im Computer als auch in den Arbeitskladden eingetragen«, flüsterte er, während er um sich blickte. »Sonst habe ich nichts Verdächtiges gefunden.«
» Jesús, Maria y José! Wie oft muss ich Ihnen noch sagen, dass Sie lauter sprechen sollen! Wer soll uns denn hier drinnen schon hören?«
Pater Pinkus legte den Zeigefinger an die Lippen. »Pst, Monsignore. Kardinal Ottolenghi hat überall Spione. Das ist ein ehemaliger Jesuit, der kann sogar Gedanken hören.«
Der Pater stand auf, ging auf Zehenspitzen zur Tür und riss sie mit einem Ruck auf. Er beugte den Kopf vor und spähte nach links, dann nach rechts. Der Monsignore schnaubte ärgerlich und verdrehte die Augen. Der Pater schloss die Tür und setzte sich wieder. Da das Pergament spurlos aus dem Archiv verschwunden war, musste es entweder irgendwo versteckt sein, oder, was wahrscheinlicher war, der Kardinal St. Pierre hatte es jemandem übergeben.
»Könnte dieser jemand nicht Kardinal St. Pierres Bruder sein?«, schloss der Pater. »Ein ausgewiesener Fachmann für Archäologie.«
»Hm.« Der Monsignore schlang einen Bissen Rührei hinunter. »Wahrscheinlich.«
»Wenn das Pergament im Vatikan gefunden wurde, beweist das doch, dass Theophilos von Alexandria niemand anderem als dem Papst geschrieben hat. Der damalige Papst war Siricius. Theophilos war ein Grieche aus Alexandria in Ägypten und schrieb nur auf Griechisch. Also kamen seine Briefe auf Griechisch in Rom an,
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