Curia
Jahrhunderten der christlichen Zeitrechnung in Alexandria verfasst wurden und dass die Verfasser aus dem Wissen der altägyptischen Priester schöpften.
Wer war Hermes Trismegistos? Einige sagen, sein Name leite sich von der Anrufung her, welche die Ägypter für den Gott Thoth benutzten, der »dreimal groß« genannt wurde. Mir, der ich die Hermetica übersetzt habe, will Hermes Trismegistos nicht wie ein Gott erscheinen, vielmehr eher wie einer jener Propheten, denen man in den heiligen Schriften der Juden begegnet. So heidnisch die Welt der Hermetica sich auch ausnehmen mag, ich spüre in ihnen den Geist eines einzigen Gottes wehen, weshalb mir Hermes Trismegistos wie ein Monotheist unter Heiden erscheint.
Obgleich diese meine Überlegung Euch gewiss in großes Erstaunen versetzen wird, glaube ich dennoch, dass Hermes Trismegistos niemand anderes ist als der biblische Moses.
Die erstaunlichste Konklusion meiner Studien ist freilich, dass Moses kein Jude war, sondern ein ägyptischer Priester und dass der Auszug aus Ägypten auf gänzlich andere Weise als in der Bibel erzählt stattgefunden hat. Wie kam ich zu einer solchen Konklusion?
Théo überflog das Pergament. Als Quellen für seine Recherchen nannte Ficino die Geschichtsschreiber Manetho, Apion von Alexandria, Diodorus Siculus und Flavius Josephus.
In seinen Aegyptiaca spricht Manetho von »achtzigtausend Leprakranken und Unreinen«, die in die Steinbrüche am Ostufer des Nils geschickt wurden. »Sie wählten sich einen Anführer unter den Priestern von Heliopolis, welcher sich Osarsiph nannte … und er ging mit ihnen und änderte seinen Namen in Moses … Er sagte ihnen, dass sie die ägyptischen Götter nicht mehr anbeten dürften.« Diese »Unreinen« waren aus Ägypten vertrieben worden, und Osarsiph-Moses hatte ihren Auszug angeführt.
Apion von Alexandria schrieb über den Auszug und über Moses in einem Werk, das ebenfalls Aegyptiaca hieß: »Der Auszug der Leprakranken, der Blinden und Krüppel unter Führung des Moses … Ich hörte die Alten von Ägypten sagen, Moses stamme aus Heliopolis … Er ließ Heiligtümer im Freien innerhalb der Stadtgrenzen errichten, alle zur aufgehenden Sonne gewandt, denn so war auch Heliopolis gelegen.«
Ein weiteres Dokument bestätigt die historischen Zeugnisse. Dank löblicher Mithilfe des Bruders Leonardo gelangte ich durch die Mönche des heiligen Berges in den Besitz eines Pergaments, welches das Datum vom März 391 A.D. sowie die Unterschrift des Theon von Alexandria trägt, des letzten Bibliothekars der Großen Bibliothek. Dieser sandte es Plutarch dem Jüngeren nach Athen, wenige Monate bevor die verruchten Christen des Theophilos die Bibliothek niederbrannten.
In nämlichem Pergament schreibt Theon an Plutarch, er habe ihm mit einem Boten einen geheimen Papyrus aus der Bibliothek geschickt, welcher ein Zeugnis von der Flucht aus Ägypten und von Moses gibt, das in starkem Widerspruch zur Bibel stehe.
Ein boshaftes Schicksal wollte, dass es mir nicht gelang, jenen Papyrus zu finden, doch der Brief des Theon an Plutarch, von welchem ich Euch eine Übertragung aus dem Griechischen beilege, beweist, dass die oben erwähnten historischen Chroniken der Wahrheit entsprechen.
Cura ut valeas, o dux Florentiae .
Careggi, am 27. Tag im August im Jahr des Herrn 1463
Théo machte sich ein paar Notizen. Moses ein ägyptischer Hohepriester? Vanko bestätigte die Zeugnisse der von Ficino zitierten Historiker. In der Bibel, schrieb sein Bruder, gebe es eine Fülle von Symbolen und Riten, die von der ägyptischen Liturgie übernommen wurden: Er erwähnte die Bundeslade, eine exakte Kopie des Tabernakels von Amun; die Zehn Gebote, eine Replik der Sündenbekenntnisse des Totenbuches, und die Dreifaltigkeit, eine Wiederholung der Dreiheit Osiris-Horus-Isis. Was Letztere betreffe, sei der einzige Unterschied, dass die Kirche auf dem Konzil von Nicäa mit Isis, einer Frau, Schluss gemacht habe, um sie durch den Heiligen Geist zu ersetzen.
Hing Vankos Tod womöglich mit dem Geheimnis eines Initiationsritus zusammen? Einen Augenblick lang verschmolz das Halbdunkel des heiligsten Bezirks ägyptischer Tempel mit einem Chor leiser Choräle und Weihrauchduft. Er dachte an Raisa Belmont. Wer könnte ein Geheimnis, das einen esoterischen Ursprung hatte, besser enträtseln als sie? Er musste sie anrufen, sobald er wieder in Paris war. Er holte das griechische Pergament aus dem Ordner.
YEVN PLOUTARXVI FILTATVI EU
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