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Curia

Curia

Titel: Curia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oscar Caplan
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PRATTEIN

    Theon an den teuersten Plutarch, salve.
    Ich hoffe, der Händedruck Roms ist für Athen sanfter als jener, mit dem es derzeit Alexandria erstickt. Die Angriffe der Christen des Patriarchen Theophilos auf die Juden und uns Griechen werden zur Regel, und Ipazia und ich wagen nicht mehr, ohne Geleitschutz aus dem Haus zu gehen. Des Nachts ist das Feuer auf der Spitze des großen Pharos nicht mehr das Einzige, das durch die Finsternis dringt. Die Feuer, welche die Christen an die Häuser der Heiden und Juden legen, erleuchten die Straßen Alexandrias sogar am Tag.
    Nach dem Edikt des Theodosius gegen die heidnischen Tempel sind für den Tempel des Serapis die letzten Tage angebrochen. Doch die Wahrheit ist, dass den Christen viel mehr nach der Zerstörung der Großen Bibliothek gelüstet als nach der des Tempels.
    Warum? Unsere Archive, teurer Plutarch, enthalten etwas, von dessen Existenz ich selbst bis vor wenigen Tagen nichts wusste, etwas, was die Christen seit langer Zeit heimlich suchen.

    Bei der Aktualisierung des Katalogs der Bibliothek hatte Theon zwei Dutzend in einem geheimen Archiv versteckte Papyri entdeckt, deren Hieroglyphen ins Griechische übersetzt worden waren. Sie stammten aus dem Tempel von Ra-Harmakhis, der heiligsten Stätte von Heliopolis. Manetho, der Hohepriester des Tempels, hatte die Schriften auf Befehl des Königs übersetzen und Ptolemaios II. aushändigen müssen. Ptolemaios II. fieberte danach, die Geheimnisse der Priester des alten Ägypten zu erfahren, wie schon sein Vater, Ptolemaios I., der Gründer der Bibliothek; dieser hatte aus sämtlichen heiligen Tempeln Ägyptens Papyri entwendet, die Originale für sich behalten und den Priestern nur Abschriften gelassen.

    Da ich als Mathematiker ein Sklave meiner bekannten Pedanterie bin, habe ich die Übersetzungen Manethos von dem Skribenten, welcher unserer Übersetzerschule vorsteht, kontrollieren lassen. Dieser hat eine bestürzende Entdeckung gemacht: Im Gegensatz zu den exakten Übersetzungen der Papyri aus Luxor, Theben und Memphis sind jene, welche Manetho von den Papyri aus Heliopolis anfertigen ließ, unvollständig oder enthalten Zusätze, die nichts mit dem Original zu tun haben. Manetho log. Warum?
    Die korrekten Übersetzungen meines Skribenten zeigen, dass Manetho sich als Hohepriester von Heliopolis einem jahrtausendealten Initiationsritus unterzogen hatte, der ihm verbot, die Geheimnisse Thoths zu enthüllen. Wir haben entdeckt, dass es eine geheime Bruderschaft gab, »Schule der Mysterien Thoths« genannt, welcher die Pharaonen und alle Hohepriester von Heliopolis angehörten. Sie gaben einander diese Geheimnisse weiter. Gegründet wurde die Bruderschaft von Thutmosis IV., den ein Traum dazu inspiriert hatte.
    Die bei Weitem erstaunlichste Entdeckung aber, mein guter Plutarch, betrifft einen Papyrus, dessen korrekte Übersetzung eine Tatsache von allergrößter historischer Tragweite ans Licht bringt. Der Prophet Moses war mitnichten ein Jude, sondern ein ägyptischer Hohepriester, und der Auszug aus Ägypten war keine Flucht jüdischer Sklaven, sondern die Vertreibung unerwünschter Ägypter. Durch einen Boten schicke ich dir dieses Pergament mit dem Papyrus über den Exodus und seine Übersetzung nach Athen. Du wirst wissen, was du damit zu tun hast. Mein Bote wird morgen an Bord eines Schiffes nach Piräus gehen.
    Ich schreibe dir von der Terrasse unserer Sternwarte. Es ist die Stunde der Ruhezeit, die Studenten spazieren durch die hängenden Gärten. Mein Blick verweilt auf dem Hafen, wo es von Händlern und Seeleuten wimmelt, dann wandert er das Heptastadion entlang bis zur Leuchtturminsel. An der Ostspitze der Insel leuchten die weißen Steine des großen Pharos in der Sonne. Poseidon überragt uns von der Kuppel des Pharos aus, aber seine stolze Haltung täuscht: Sein Dreizack ist machtlos gegen den Sturm, der binnen Kurzem über Alexandria hereinbrechen wird.
    Ich sende dir und Asclepigenia eine Umarmung von mir und Ipazia.
    Alexandria, am 8. März 391 allgemeiner Zeitrechnung

    Théo ballte die Faust. Tête de con ! Er schluckte und fuhr sich durch die Haare.

    Théo packte Vanko am Arm. »Sag mir, wer dir diese connerie in den Kopf gesetzt hat!«
    Vanko entwand sich und sprang auf. »Was soll ich dir schon erklären? Ausgerechnet dir, der du an nichts glaubst! Du konntest gar nichts anderes als Archäologe werden. Du wagst es, eine solche Entscheidung zu kritisieren, du, der du innerlich genauso tot

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