Curia
Reihers mit ängstlichen Blicken verfolgend.
Wieder überfiel Nepher die Vibration, die er schon in der Nacht des Lichterfestes im Großen Phönix-Tempel verspürt hatte, durchdringend und beharrlich tönte sie in seinen Ohren. Er legte die Hände an den Kopf, fiel auf die Knie und beugte sich zur Sonne vor, die Arme vor sich ausgestreckt. Thutmosis kniete an seiner Seite nieder.
»Thutmosis, hier werden wir eine neue Stadt bauen.« Nepher hob den Kopf. »Eine Sonnenstadt, die Stadt Atons.«
»Eine Stadt, Hoheit?« Thutmosis blickte sich um. »Hier?«
»Ja, hier. Ich werde sie Achet-Aton nennen, den Horizont Atons.« Nepher erhob sich, sammelte ein paar Steine ein und häufte sie an der Stelle auf, wo der Reiher den Boden berührt hatte. »Und hier wird sich der Große Aton-Tempel erheben, ein Tempel, der sich zum Himmel öffnet, sodass sein Inneres vom Sonnenlicht überflutet wird.«
»Hoheit, wie willst du eine Stadt an einem Ort wie diesem erbauen? Schau dich um. Diese Gegend ist nur für Skorpione und Schakale geeignet. Und wir sind hier vierzig iteru von Theben und dreißig von Memphis entfernt.«
»Hast du selbst mich nicht gefragt, ob der Reiher ein Zeichen der Götter war?« Nepher blickte versonnen auf einen Hügel. »Komm mit. Ich will dir etwas zeigen.«
Sie erklommen eine Anhöhe, gefolgt von Ra. Auf dem Gipfel schweifte Nephers Blick über das mondsichelförmige Tal. Mit einer Handbewegung umfasste er den ausgetrockneten Flusslauf.
»Sieh sie dir an, Thutmosis. Sie ist dort, genau vor dir, siehst du sie? Die Königliche Straße teilt sie von Norden bis Süden in zwei Hälften. Dort in der Mitte ragen die tausend Säulen des Großen Aton-Tempels auf. Die Häuser erstrahlen in einem blendenden Weiß, die Sykomoren werfen ihre Schatten auf Gärten voller Wasserbecken, und das Rot der Granatapfelbäume leuchtet aus dem Grün der Parks hervor.« Nepher sog die Luft ein. »Riechst du den Duft?«
»Den Duft von was, Hoheit?«, fragte Thutmosis mit halb zweifelnder, halb verwirrter Miene.
»Den Duft der Lotusblüten, der die Luft berauscht.«
Mit sicheren Gesten zeigte ihm Nepher, wo der Königliche Palast, die Verwaltungsbüros, die Lagerhäuser, die Viertel der Adeligen und der Handwerker, die Kasernen, das Arbeiterdorf und das Haus des Todes liegen würden. Unterdessen hatte Thutmosis sein Schreibwerkzeug hervorgeholt und sich auf einen Felsblock gesetzt, auf den er ein Tintenfass aus Ton gestellt hatte. Während der Pharao sprach, zeichnete er mit seinem Griffel einen Stadtplan auf ein Papyrusblatt.
»Diesen Spalt dort hinten, die Stelle, wo die Sonne aufgegangen ist, werde ich das Königliche Wadi nennen. Dort wirst du meine Ewige Wohnstatt erbauen, für mich, Nofretete und unsere Töchter.«
»Aber Hoheit, die Pharaonen ruhen im Tal der Könige am Westufer von Theben. So will es die Tradition.«
»Dann wird Anubis ans Ostufer übersetzen müssen.«
Thutmosis seufzte ergeben. »Wann willst du den Entwurf haben?«
»Am Ende des Monats Athyr.«
»Aber Hoheit, da bleiben ja nur zwei Dekaden! Das ist unmö…«
»Danke, Thutmosis, mein Freund. Ich wusste, dass ich auf dich zählen kann. Von jetzt an füge ich zu deinen Titeln auch den des Lieblings des Pharaos hinzu.« Mit ostentativem Gebaren nahm Nepher eine würdevolle Haltung ein. »So stehe es geschrieben, und so sei es getan«, sagte er mit tiefer Stimme und fuhr mit der Hand durch die Luft.
»Aber warum eine neue Stadt gründen, Hoheit?«
»Glaubst du, dass es einen Ort ohne Hass geben kann, wo die Menschen sich selbst vergessen und nur an das Wohl der anderen denken?«
»Nein, Hoheit, das glaube ich nicht. Wenn es den Ort gibt, von dem du sprichst, dann muss er auf einem der Sterne liegen, welche die Astrologen-Priester von Iunu in sternenklaren Nächten erspähen, aber nur unter einer Bedingung: dass kein Mensch jemals seinen Fuß dorthin gesetzt hat.«
»Ich habe diesen Ort in der Nacht des Lichterfestes gesehen. Vielleicht lag er auf dem Hundestern, vielleicht auf der Wohnstatt des Osiris oder auf dem Roten Stern des Horus. Aber eines sage ich dir: Ich werde diesen Ort wiedererschaffen. Hier in Achet-Aton. Komm, wir gehen zum Schiff zurück.«
»Ich wünschte, du hättest recht, Hoheit, aber du vergisst etwas: Es werden Menschen sein, nicht Götter, die deine Stadt bewohnen.«
37 Geräuschlos stieg ein blauer Fesselballon hinter den Kämmen des Aiguillon-Gebirges auf und zeichnete sich scharf gegen den hellblauen
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