Curia
ziselierten Silbertablett goss.
»Monsieur St. Pierre, die Amarat haben mir berichtet, dass Sie sich für die vorislamischen Traditionen von Al-Bad interessieren.«
Théo umriss in beiläufigem Ton seine bibelarchäologischen Forschungen. »Zuletzt habe ich zu meinem Erstaunen entdeckt, dass die ganze Geschichte von Al-Bad mit der Geschichte um Moses verflochten zu sein scheint.«
»Aha, ich verstehe. Also sind auch Sie auf den Spuren des Propheten Moses. Eine Suche, die bei euch im Westen offenbar in Mode gekommen ist.«
Es sei ihm eine Freude, beim Emir von Tabuk eine Sondergenehmigung einzuholen, damit Théo und Khalid die Brunnen von Jethro und die Moses-Höhlen besichtigen konnten, die dem Publikum normalerweise verschlossen blieben.
»Ich danke Ihnen herzlich, aber das sind Legenden. Ich respektiere sie natürlich. Aber als Archäologe muss ich mich auf die Fakten beschränken.«
»Die Fakten?« Ein amüsiertes Lächeln spielte um die Lippen des Scheichs. »Oh, wie ich Sie um Ihre Sicherheit beneide! Ich war immer der Meinung, zu jedem Faktum gebe es tausend Wahrheiten, doch das ist wahrscheinlich nur die Sicht eines alten Mannes. Darf ich fragen, wonach Sie suchen?«
»Eine Bestätigung, und ich glaube, niemand ist geeigneter als Sie, mir diese Frage zu beantworten.«
Théo zog zwei Landkarten aus einer Ledermappe und breitete sie, zum Scheich hingedreht, auf dem Teppich aus. Eine war eine antike Karte der Arabischen Halbinsel, veröffentlicht von der Oxford University Press, die andere eine moderne Karte von Saudi-Arabien.
»Seit wann schlagen die Beni Sakhr ihre Zelte in diesem Teil Arabiens auf?«
»Wie viele Sandkörner gibt es in der Wüste?«
Als Verhandlungspartner würde der Scheich ungefähr so einfach im Umgang sein wie der Premierminister einer Bananenrepublik. Théo zeigte auf die Karte aus dem Altertum. »Östlich von Al-Bad liegt eine Gebirgskette, die früher Zuhd hieß. Zu dieser Kette gehörte ein Berg namens Hrob am Ende eines gleichnamigen Wadi. Wenn wir die alte Karte, die allerdings nicht mehr gut lesbar ist, mit der modernen vergleichen, sieht es so aus, als würde der Berg Hrob heute Al-Manifa heißen, und das Tal heißt Wadi Hurab. Sind Hrob und Al-Manifa derselbe Berg?«
Der Scheich musterte Théo mit einem Blick aus Verwunderung und Vorsicht. »Ja, sie sind identisch. Darf ich nach dem Grund Ihres Interesses an diesem Berg fragen?«
»Wahrscheinlich liegt die Antwort in der Bedeutung des Wortes ›Sinai‹. Das ist ein altes arabisches Wort, nicht wahr?«
Der Scheich runzelte die Stirn, und im Zelt entstand eine mit Misstrauen aufgeladene Stille. Théo spähte zu Khalid hinüber, der ihm mit einem bösen Blick antwortete.
»In vorislamischer Zeit war Sin ein Mondgott, der von den Völkern der Arabischen Halbinsel angebetet wurde«, fuhr Théo fort. »Wer war Sinai?«
Der Scheich machte eine wegwerfende Handbewegung. »Sinai war eine Mondgöttin, die vor der Ankunft des Propheten in dieser Gegend verehrt wurde. Im Altarabischen ist ›Sinai‹ die weibliche Form von ›Sin‹.«
»Stimmt es, dass der Gipfel des Berges Al-Manifa in zwei großen Felszacken ausläuft, die ein V bilden?«
»Woher wissen Sie das?«
»Ich habe es in einem Buch aus dem Jahr 1911 gelesen, The Northern Hegaz . Der Verfasser war ein gewisser Alois Musil.«
Alois Musil war ein tschechischer Historiker und Forschungsreisender, der Arabien und das Heilige Land ab 1895 mehrmals besucht hatte.
»In seinem Buch beschreibt Musil den Berg Hrob/Al-Manifa und behauptet, das sei der wahre Berg Sinai. Fünfzig Jahre später bestätigte der englische Forscher Philby, dass es sich bei Hrob und Al-Manifa um denselben Berg handelte. In der Bibel wird der ›Berg Gottes‹ manchmal ›Sinai‹ und manchmal ›Horeb‹ genannt, was die Schlussfolgerungen Musils erhärtet.«
Der Falke hüpfte auf seiner Stange hin und her, spreizte die Flügel und stieß eigenartig gurgelnde Schreie aus, die aus seinem Bauch zu kommen schienen.
»Warum glauben Sie das, was dieser Forschungsreisende geschrieben hat? Dieser Musil muss einer der vielen Geheimnisjäger gewesen sein, die einer romantischen Vorstellung der Wüste hinterherjagten.«
»Musil war kein gewöhnlicher Forschungsreisender. Er war auch Professor für Bibelwissenschaft an den Universitäten Wien und Prag.«
»Jebel Al-Manifa war der Berg, der der Göttin Sinai geweiht war, stimmt das?«, fragte Théo.
»Sie sagten doch, Sie glauben nicht an
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