Curia
gegeben hätte, wäre der Nationalsozialismus nie entstanden.«
»Ach. Und warum?«
»In den Zwanzigerjahren war die Thule-Gesellschaft die mächtigste Geheimgesellschaft Deutschlands, innerhalb und außerhalb der Universitäten. Damit Sie eine Vorstellung von den Mitgliedern bekommen, nenne ich Ihnen ein paar Namen: Fritz von Thyssen, Gustav von Thurn und Taxis. Industrie und Adel. Aber es gab auch Mitglieder ganz anderer Art: Dietrich Eckart, Rudolf Hess und Heinrich Himmler.«
Thyssen habe Hitler nicht nur den Stahl für die Wiederaufrüstung geliefert, er war über die Bank Voor Haandel en Scheepvaart N . V . in Rotterdam, die der Familie Thyssen gehörte, auch der Bankier der NSDAP . Eckart war nicht nur der ideologische Kopf der Thule-Gesellschaft und Chefredakteur des »Völkischen Beobachters«, der Hitler seit dem Münchner Putsch unterstützt hatte, sondern auch der Ideologe des Nationalsozialismus. Nicht umsonst habe Hitler ihm Mein Kampf gewidmet. Die Namen Hess und Himmler sprächen für sich selbst.
»Ich bin weit davon entfernt, Leute wie die Skull and Bones zu verteidigen«, sagte der Kommissar, »aber von Russell zu Eckarts Thule-Gesellschaft ist es doch ein großer Schritt. Was hatte die Skull and Bones in Yale mit den Nazis zu tun?«
Ein lang gezogener Pfiff übertönte die letzten Worte des Kommissars, und ein rotes Licht leuchtete mitten über dem Meer auf. Money, money, money , sang Liza Minelli, und Raisa fühlte, wie sie der Zorn packte.
»Was sie miteinander zu tun hatten? Es waren zwei Mitglieder der Gruppe Kapitel 322, die die Wiederaufrüstung Deutschlands finanzierten. Ihre Namen sind durchaus nicht unbekannt: Averell Harriman und Prescott Bush.«
1922 habe Averell Harriman von der Geschäftsbank W . A . Harriman & Co. an der Wall Street eine Filiale seiner Bank in Berlin gegründet und sei dort Thyssen begegnet. Die beiden entdeckten, dass sie dieselben Ideen hatten, und entwickelten ein ehrgeiziges Projekt, das zunächst die Schaffung einer besonderen Bank mit Sitz in New York vorsah.
1924 gründete Harriman in New York die UBC , die Union Banking Corporation.
Die UBC war der Kanal, über den Thyssen aus den Finanzmärkten der USA schöpfte, um Nazideutschland wiederzubewaffnen.
»Aber die UBC war auch der Kanal, über den Harriman und Consorten die aus der Wiederaufrüstung Deutschlands stammenden Profite kassierten«, sagte Raisa. »Und das waren viele hundert Millionen Dollar.«
Raisa hörte Champagnerkorken knallen und sah die Gartenpartys in Smoking und Abendkleidern aus Fitzgeralds Der große Gatsby vor sich. Die Luxusvillen der Zwanzigerjahre auf Long Island, das leicht verdiente Geld … aber auch den gelben Rolls-Royce mit dem Ersatzrad auf der Motorhaube – das Sinnbild der Übel einer Epoche.
Sie waren an der Spitze der Mole angekommen und umkreisten den Leuchtturm. Raisa blickte über die Bucht. Der Scheinwerfer des Leuchtturms strich über einen schwarzen Horizont, der nicht zu erkennen gab, wo das Meer aufhörte und wo der Himmel begann.
»Dann ist die Skull and Bones also der harte Kern der Bilderberg-Gruppe.« Der Kommissar lachte bitter. »Verflucht, wenn ich an all die Schweinereien denke, die in der Welt passieren, dann hat sich Amerika seit der Zeit der UBC überhaupt nicht verändert. Und ich frage mich: Wie viele aus dieser Skull-and-Bones-Truppe konnten Amerika, die Amerikaner und die ganze Welt im Namen der Demokratie bescheißen?«
Ob es nun darum ging, sich die Bodenschätze Südamerikas oder das Erdöl im Nahen Osten zu sichern, die Vereinigten Staaten scheuten sich nicht, mit allen Pinochets und Saddam Husseins der Welt zu flirten, und ebenso wenig, ihnen den Krieg zu erklären, wenn die Umstände es erforderten. Eine tragische Farce. All das geschah ausschließlich im Interesse einer Handvoll sogenannter WASP s, die nur einen Gott hatten: den Dollar.
»Cousins von mir leben in New Haven in Connecticut«, sagte der Kommissar. »Sie sind amerikanischer geworden als Kentucky Fried Chicken. Wie jeder gute Amerikaner feiern sie den vierten Juli mit der amerikanischen Fahne auf dem Dach und sind überzeugt, in einer perfekten Demokratie zu leben. Wenn wir uns an die Erzählungen unserer Eltern über Nazideutschland und das faschistische Italien erinnern, sagen sie, solche Gräuel könnten in Amerika niemals passieren. Sie sind Protestanten geworden, sonntags gehen sie in die First Presbyterian Church und singen aus voller Kehle Psalmen. Dort
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