Curia
herrscht eine Atmosphäre wie bei den Pilgern der Mayflower , und wissen Sie was? Mir wird jedes Mal ganz übel, und jetzt weiß ich, warum.«
Raisa lächelte. »Werden Sie ihnen die Wahrheit erzählen, wenn Sie Ihre Cousins das nächste Mal besuchen?«
Der Kommissar zog an seiner Zigarette. »Nein, sie würden mir sowieso nicht glauben. Und warum soll ich ihnen ihren amerikanischen Traum zerstören? Sie sind doch Psychologin. Tue ich das Richtige?«
»Haben Sie den Großen Gatsby von Fitzgerald gelesen?«
»Nein, aber ich habe den Film gesehen. Warum?«
»Gatsby hatte das Haus in West Egg gekauft, weil er von dort aus ein grünes Licht jenseits der Bucht sehen konnte. Es kam von einer Laterne am Ende einer Anlegebrücke, die zum Haus von Daisy, seiner unerreichbaren Liebe, gehörte. Der amerikanische Traum ist wie die grüne Laterne von Gatsby. Sie tun genau das Richtige. Sagen Sie Ihren Cousins nichts. Das Leben der Menschen besteht aus Träumen, aber wenn man sie ihnen wegnimmt, macht man sich nur Feinde. Die Träume haben recht, und die Wirklichkeit hat unrecht.«
Raisa und der Kommissar schwiegen einige Augenblicke lang. Das Geräusch der gegen die Brückenpfeiler stoßenden Boote begleiteten ihre Gedanken. »Jetzt verstehe ich den Grund für diese Tarotkarte mit dem Skelett«, sagte Raisa.
Die glühende Zigarette des Kommissars leuchtete im Dunkeln auf. »Da ist aber immer noch etwas, was mich nicht überzeugt. Die Skull and Bones und die Bilderberg-Gruppe verfolgen denselben Zweck, Geld und Macht. Doch ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass sie hinter esoterischen Geheimnissen herjagen.«
Raisa dachte an den medizinischen Bericht von Fra Uguccione. »Der Tod Giovannis macht mich misstrauisch«, hatte der Klosterbruder geschrieben.
»Vielleicht hat dieser Russell aus Deutschland noch mehr mitgenommen als einen Namen, ein Symbol und eine durchgesehene und korrigierte Ausgabe von Platons Der Staat «, sagte Raisa.
»Was meinen Sie?«
»Etwas, das auf die Illuminaten zurückgeht und von ihnen ins alte Ägypten führt. Das Wissen um ein Geheimnis – die Existenz eines Geheimnisses –, und zwar das Geheimnis, um dessentwillen Pico della Mirandola umgebracht wurde.«
»Haben Sie dafür Beweise?«
»Wissen Sie, was Weishaupt von Beruf war?«, fragte Raisa.
»Nein, was?«
»Er war Jesuit und lehrte Kirchenrecht an einer bayerischen Universität. Dann trat er plötzlich aus dem Orden aus und wurde zu einem verschworenen Feind der Kirche. Er erklärte, die Evangelien des Neuen Testaments seien ›auf Irrtümer, Lügen und Betrug gegründet‹.«
Weishaupt war ein fanatischer Anhänger okkulter und esoterischer Lehren und der Initiationsriten des alten Ägypten. Nicht zufällig habe er die Große Pyramide in Gizeh, überragt vom Auge des Horus, zum Symbol der Illuminaten gemacht. Außerdem berichteten zeitgenössische Chroniken, dass Weishaupt mehrmals in Rom und Florenz gewesen sei.
»Warum dieser plötzliche Hass auf die Kirche? Was hat Weishaupt in Rom und Florenz gemacht? Warum dieses große Interesse an ägyptischer Esoterik, die auch Pico della Mirandola und den Papst Rodrigo Borgia begeisterte?«
»Das sind nur Indizien. Und ziemlich vage obendrein.«
»Mag sein, aber es lässt sich nicht ausschließen, dass Weishaupt in Rom und Florenz ein Geheimnis aus dem alten Ägypten entdeckt hatte. Vielleicht erfuhr Russell von diesem Geheimnis, während er in Deutschland war, und nahm es mit nach Yale.«
»Das ist nur eine Vermutung.«
»Das Interesse der Thule-Gesellschaft am Paranormalen ist keine Vermutung. Diese Leute waren davon besessen.«
Eckart und die anderen brauchten Hitler nicht mehr zu überzeugen, denn Hitlers Gier auf alles, was mit Okkultismus zu tun hatte, grenzte an Wahn. Schon als junger Mann hatte Hitler in Wien ganze Tage in der Nationalbibliothek der Hofburg verbracht, wo er alles las, was er über esoterische Geheimwissenschaften und orientalische Religionen finden konnte.
Raisa zeigte mit dem Finger auf den Kommissar. »Wie erklärt sich dieses Interesse? Woher kam das der Skull and Bones? Warum die Tarotkarte? Was hat Skull and Bones mit der Bibliotheca Philosophica Hermetica in Amsterdam und mit dem Vatikanischen Geheimarchiv zu tun?«
»Na gut. Stellen wir uns einen Moment lang vor, dass es so war und dass die Bilderberger, als sie Théo aufzuhalten versuchten, merkten, dass er diesem Geheimnis auf der Spur war. Wir sind wieder am Ausgangspunkt. Warum
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