Curia
die Musik von Zimbeln. Die Feste zur Feier seines zwölften Regierungsjahres kamen ihm in den Sinn. In den Gärten drängte sich die Menge der Würdenträger aus den eroberten Ländern. Er sah sich mit der doppelten Krone, den Krummstab und die Geißel vor der Brust gekreuzt. Nofretete und die Mädchen saßen mit ihm auf einem großen Thron mit Baldachin. Setepenre hielt eine zappelnde kleine Antilope im Arm, ein Geschenk des Gesandten aus dem Lande Punt.
Die Würdenträger waren vor dem Thron vorbeigezogen, hatten ihr Treuegelöbnis gesprochen und Geschenke dargebracht: weibliche Sklaven mit Gold- und Silbergefäßen auf dem Kopf; Kutschen, mit Elektron und Elfenbein intarsiert; Geparden, am Halsband geführt; Büffel mit langen Hörnern; Ledersäcke voll Goldstaub; Elefantenzähne, von nubischen Sklaven auf den Schultern getragen … Auf die Zeremonie war ein großes Bankett gefolgt. Im Saal erklang ein fröhliches Gewirr aus Stimmen, Gelächter und Musik der Systren und Leiern.
Die Fackeln waren erloschen, die Musik war verstummt, die Gäste waren fort, und seine Familie ruhte im Land des Westens. Nur Anchesenpaaton war ihm geblieben. Für wenige Stunden noch.
Zwei Schiffe kreuzten auf dem Nil, und von den Decks erhoben sich Stimmen. Dann verschwanden ihre Fackeln im Dunkel. Wieder herrschte Stille. Er riss sich den Nemes vom Kopf und warf ihn auf den Boden. Hatte er wirklich alles falsch gemacht? Sein Blick fiel auf den Anhänger aus Türkis. »Es stellt den Gott der versäumten Gelegenheiten dar«, hatte Nofretete gesagt. Er hörte Schritte hinter sich.
»Hoheit, wir haben alle benachrichtigt.« Der Wesir stellte sich neben Nepher ans Fenster. »Der General hat mir versichert, dass ihr bald aufbrechen werdet, nicht später als zur ersten Tagesstunde.«
Nepher betrachtete die Wasseruhr. Die elfte Stunde. Noch zwei Stunden. Und danach? Lohnte sich ein Danach?
»Hoheit, gestatte mir eine Frage. Was glaubst du, wie die Nachwelt dich beurteilen wird?«
»Die Nachwelt?« Nepher lächelte traurig. »Das habe ich mich nie gefragt. Was ich getan habe, habe ich gewiss nicht getan, um geliebt zu werden. Wenn ich das gewollt hätte, hätte ich Kompromisse gemacht wie alle, und Ägypten hätte seinen Amun und seine Priesterschaft behalten.«
»Wie du siehst, kehrt Ägypten zu Amun und seiner Priesterschaft zurück, weil es das ist, was die Ägypter verdienen und im Grunde wollen. Es wird immer Amun-Priester geben. Was ist schlecht an Kompromissen, Hoheit? Nur die Welt der großen Ideale lehnt sie ab, aber das ist die Welt der Götter, nicht der Menschen.«
Von der Königlichen Straße kam der Lärm von Wagenrädern und Eselsgeschrei.
»Der Preis für Kompromisse ist zu hoch«, sagte Nepher. »Eine entwürdigende Mittelmäßigkeit, der Verzicht auf die Entdeckung des eigenen Selbst, die Abkehr von Maat … Kompromisse sind die Seuche des ka .«
»Aber das Leben ist ein fortwährender Kompromiss zwischen dem Göttlichen und dem Möglichen, und das Mögliche ist immer mittelmäßig. Immerhin ist es wenigstens etwas. Was hast du damit erreicht, dass du dich nichts und niemandem gebeugt hast?«
»Ich habe Ägypten eine Vision gegeben.«
»Eine Vision? Aber wer will die denn haben, Hoheit? Jeder Mensch ist in seinem Inneren überzeugt, dass seine eigene Vision bis an die Grenzen des Nun reicht.«
Nepher hob die Augen zum besternten Himmel. »Der Visionär kann das Unsichtbare sehen, und wenn er die Sterne betrachtet, entdeckt er das, wofür die anderen blind sind.«
Der Wesir warf ihm einen skeptischen Blick zu. »Was hast du denn gesehen, Hoheit?«
»Ich habe gesehen, dass es unmöglich ist, das Universum zu verstehen, wenn wir uns selbst nicht verstehen.«
»Und was hast du Wichtiges verstanden?«
Nepher blickte unverwandt zu den Sternen auf. »Nakht, was ist der Sinn des Lebens?«
»Der Sinn des Lebens?« Der Wesir zuckte die Achseln. »Na ja, ich würde sagen, das Streben nach Glück.«
»Und was ist das Glück?«
»Ach, darüber erzählen die Leute eine Menge Geschichten, aber sie lügen. Ich glaube nur an das, was ich sehe. Alle wollen Macht, Gold und einen gut bestückten Harem mit Sklavinnen.«
»Denk an die, die das alles bekommen haben. Würdest du sie glücklich nennen?«
Der Wesir blickte ihn erstaunt an. »Nein. In Wahrheit sind sie es nicht.«
»Warum?«
»Weil sie immer noch mehr wollen.«
»Siehst du? Das Glück kommt nicht von außen, sondern von innen. Alle plagen sich das ganze Leben
Weitere Kostenlose Bücher