Curia
lang ab, Dingen hinterherzujagen, die ihnen völlig egal sind. Aber wenn sie das merken, ist es zu spät. Nur an magischen Orten wie den Roten Wüstenländern kann man seinen Geist frei machen, doch das sind immer nur Funken der Wahrheit, flüchtig wie ein Blitz am Himmel.«
»Wie erlangt man das Glück, von dem du sprichst?«
»Hör auf zu urteilen, bring deinen Verstand zum Schweigen, und lausche dem Fließen der Dinge. Du wirst von einem starken Licht geblendet werden und das Innerste Gesetz des Seins sehen.«
»Das Innerste Gesetz? Was soll das sein, bei Apophis?«
»Sein eigenes Selbst zu vergessen. Erst dann wird dein ka mit dem ka des Universums verschmelzen, und du wirst das Geheimnis des Glücks entdecken.«
»Welches Geheimnis denn, Hoheit, welches?«
»Dass der Mensch ohne Liebe zu seinen Mitmenschen wie ein Boot des Ra ist, in alle Ewigkeit dazu verdammt, im Duat umherzuirren.«
»Liebe zum Mitmenschen?« Der Wesir lachte. »Hoheit, das gibt es auf dieser Welt nicht. Da hätte Atum-Ra den Menschen fürwahr ganz anders machen müssen, stattdessen aber hat er Menschen wie Ay, Horemheb und Tehuti geschaffen.«
»Fang bei dir selbst an, und du wirst die Magie dieses Gesetzes entdecken.«
General Maya erschien an der Tür und rief den Wesir mit einem Handzeichen zu sich.
»Hoheit, du hast meine Frage nicht beantwortet. Wie wird die Nachwelt dich beurteilen?«
»Am Ort der verborgenen Dinge«, sagte Nepher, versonnen auf die Gärten blickend, »sah er das Versprechen dessen, was er sein würde. Er hielt dieses Versprechen. Das ist es, was die Nachwelt von mir sagen müsste, wenn sie es erführe.«
»Weißt du, was sie stattdessen sagen wird?«
»Dass ich der größte Verrückte der Geschichte war.«
»Schlimmer: der größte Idealist.« Der Wesir ging mit dem General hinaus.
Mit einer Papyrusrolle in der Hand trat Nepher an das Bett seiner schlafenden Tochter Anchesenpaaton. Sie lag auf der Seite, die schwarzen Haare fielen ihr über eine Wange. Es war noch das Gesicht eines Kindes, aber die Züge waren die von Nofretete. Er wollte sie liebkosen, aber er hielt sich zurück.
Er ließ den Papyrus auf dem Tisch liegen, neben dem Tiegel mit der Augenschminke, ihrem ersten. Er hatte ihr den Kohl vor einem Monat geschenkt, zum Beginn ihres fünften Schuljahres im Haus des Lebens. Mit einem letzten Blick versuchte er, sich jede Einzelheit ihres Gesichts einzuprägen. Abschiede waren nicht das Ende, sondern der Anfang. Leise verließ er den Raum.
Umgeben von einem hektischen Hin und Her der Wachen und Diener, schritt Nepher durch die Gärten und blieb vor Ras Käfig stehen. Der Löwe lag wach auf seinem Lager. Das Licht einer Fackel ließ die grünen Einsprengsel in seinen Augen aufblitzen. Als Nepher in den Käfig kam, stand Ra auf, lief zu ihm und leckte ihm die Hand. Nepher kniete neben dem Tier nieder, umarmte es und sprach mit leiser Stimme zu ihm.
Dann erhob er sich mit einem Ruck und ging fort, ohne sich umzudrehen. Das klagende Brüllen Ras, der sich gegen die Gitter warf, begleitete Nepher durch den Garten.
»Rasch, Hoheit, steig ein«, sagte General Maya, auf dem Wagen stehend. Nepher kletterte an seine Seite. »Wie viele Würdenträger haben beschlossen, mit mir zu gehen?«
»Vier mal hundert Mann, Hoheit. Freilich mitsamt ihrer Diener und Sklaven.«
»Gehen sie aus Liebe zu Aton?«
»Ich bedaure, Hoheit. Sie gehen aus Angst vor Ay.«
Inmitten des Lärms knarrender Wagenräder, des Klapperns von Hufen und der Rufe der Wagenlenker setzte ihr Wagen sich an die Spitze einer schier endlosen Karawane aus Karren, Pferden und Mauleseln, die sich unter den Strahlen der aufgehenden Sonne über die Königliche Straße bewegte.
Die Esel und Wagen waren bis zum Bersten mit Krügen, Lederschläuchen, intarsierten Truhen und Ebenholzmöbeln beladen. Der Oberaufseher über die königlichen Kornspeicher saß auf seinem Wagen, einen hölzernen Käfig auf dem Knien, aus dem eine Katze ihren Kopf streckte. In einen leinenen, mit Goldfäden bestickten Umhang gehüllt, gab der Leiter der königlichen Archive seinem Pferd die Sporen. Eine Hofdame mit einer langen Perücke aus schwarzen Haaren saß unter einem Baldachin. Schon bald schlängelte sich die Karawane an den Hängen der Hügel im Norden entlang.
Als sie an die nördliche Stele gelangten, bat Nepher den General, an dem Abhang anzuhalten, von dem aus man auf die Stadt blickte. Maya befahl der Wagenkolonne weiterzufahren.
Nepher versuchte, den
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