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Curia

Curia

Titel: Curia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oscar Caplan
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Felszinnen gekrönt wurde.
    Al Kaddafi schaute durch das Okular und hob den Kopf. Seine Augen funkelten begeistert. »Im Koran steht: ›Allah hilft den Beharrlichen.‹« Er zog seinen Dolch aus einem silbernen, mit Elfenbein intarsierten Futteral und streckte die Hand mit dem Dolch zum Himmel empor. »So stellt Gott uns also auf die Probe. Bruder, danken wir Allah für alle Probleme, die er uns schickt.« Halb verwundert, halb eingeschüchtert, betrachtete der Archäologe die blitzende Klinge. »Ja, ja … danken wir ihm.«
    Den Dolch in der Hand, marschierte Al Kaddafi zum Zelt des Kommandanten der Nationalgarde. Der Archäologe ließ sich mit einem tiefen Seufzer auf eine Kiste fallen.
    Durch das Tal hallten die bellenden Stimmen der Unteroffiziere. Die Soldaten luden Maschinengewehre und Granatwerfer auf die Lastwagen, stiegen auf, und die Kolonne nahm Kurs auf den von anthrazitfarbenen Zinnen gekrönten Hügel. Hinter den Lastwagen wirbelte eine rote Sandwolke auf.

    Die Arbeiter hatten eine größere Öffnung in die Mauer geschlagen. Théo stieg hindurch, gefolgt von Kassamatis, Khalid und zwei Beduinen.
    Die Lichtkegel ihrer Lampen glitten über zwei mit bunten Hieroglyphen bedeckten Sandsteinsäulen, wanderten zu einer Reihe Truhen aus Holz mit Gold- und Elfenbeinintarsien und blieben auf den Fresken stehen, die die Wände schmückten.
    Stille herrschte in dem großen Raum. Théos Lampe erkundete die Wandgemälde, ihr Strahl kreuzte die der anderen. Die Wände waren vollständig mit Bildern bedeckt: Gärten im Schatten von Sykomoren, Häuser in einem strahlenden Weiß, Zierteiche mit Lotusblüten und Papyrussümpfe, über die bunt gefiederte Vögel flogen. Théo meinte das Schnattern der Enten zu hören, in der Luft lag der Duft wilder Myrte. Diese Bilder brauchten keine Inschriften: Das war Achet-Aton, Echnatons Stadt der Träume. Théo dachte an die Ebene von Tell El-Amarna. Heute gab es dort nur noch ein paar zerfallene Mauern. Wer hätte gedacht, dass diese Ruinen einmal eine so prächtige Stadt gewesen waren?
    Im Geist sah er die starren Statuen der Pharaonen und die würdevolle Steifheit der Figuren auf den Tempelwänden. Diese Fresken hier waren ein Bruch mit allen ägyptischen Traditionen: Sie drückten Lebensfreude und Liebe zur Natur aus, sie spielten mit der Perspektive, mit strahlenden Farben und mit Helldunkelkontrasten. Es war, als hätte die ägyptische Kunst sich in Achet-Aton eine tausendjährige Zwangsjacke vom Leib gerissen und die Lebensfreude entdeckt.
    Im Hintergrund des Saals umrahmten die beiden Säulengänge den Hohlraum eines Tores. Er ging darauf zu und blieb an der Schwelle stehen. Das Tor führte in einen Saal wie den ersten. Der Lichtkegel lief über Säulen und durchschnitt das Dunkel eines weiteren Tores. Wie viele Kammern gab es in diesem Grab? Was enthielten all diese Truhen?
    Théo war versucht weiterzugehen, dann trat er staunend vor ein Fresko. Eine Kinderschar planschte im Nil, sie hatten einander huckepack genommen, beobachtet von einigen Frauen, die am Ufer im Schatten von Palmen saßen. Der Maler hatte die Zeit angehalten. Die Hitze eines Sommertages vor dreitausend Jahren ging vom dem Bild aus, man hörte das Plätschern des Wassers und einen Chor silberheller, lachender Stimmen.
    Er richtete die Taschenlampe auf das nächste Fresko. In ihrem Licht tauchte ein Wurfholz auf, der über einem Papyrussumpf auf einen Schwarm Enten zukreiselte, die aus dem Röhricht aufflogen. In einem kleinen Schilfboot stand ein Jäger, den Arm noch zum Wurf erhoben. Zu seinen Füßen kauerte ein Gepard. Hinter ihm saß eine Frau, die mit beiden Händen eine Lockente festhielt.
    Théo drehte sich zur gegenüberliegenden Wand um. Eine Kutsche mit funkelnden Verzierungen aus Elektron, gezogen von zwei weißen Pferden, fuhr über die Königliche Straße. Der Kutscher war Echnaton, an seiner Seite stand Nofretete. Am Straßenrand drängte sich eine applaudierende Menge, die Lotusblüten auf das Paar warf. Man hörte förmlich das Knarren der Räder und die Rufe der Menge und sah die Muskeln der Pferde spielen. Echnaton ließ die Zügel schnalzen, die Leinengewänder der Herrscher flatterten im Wind. Es war, als habe die ägyptische Kunst in Achet-Aton die Bewegung entdeckt.
    Théo betrat den dritten Saal. Ein Fresko zeigte den Pharao, Nofretete und drei ihrer Mädchen, die sich am Fenster der Erscheinungen zeigten, der überdachten Brücke, die den Königspalast mit dem großen Aton-Tempel

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