Curia
Felsschlucht.
»Wie viele dieser Hundesöhne mögen es sein?«, fragte Al Kaddafi.
»Etwa fünfzehn.«
»Wir sind fünfunddreißig Soldaten! Wollen Sie jetzt endlich Ihre Arbeit tun, oder muss ich das für Sie erledigen?«
Der Hauptmann drehte sich um und setzte ein Megafon an den Mund. »Ihr da unten! Kommt mit den Granatwerfern rauf!«
Aus der Nachhut knatterten die Salven einiger Sturmgewehre durch die Luft. Die Geschosse prallten an den Zinnen ab, die über der Hochebene aufragten.
Unter dem Feuerschutz der Sturmgewehre kletterten die Soldaten die Hänge hinauf.
Théo blickte durch das Loch, das er geschlagen hatte. Der Lichtstrahl erfasste einen Sarkophag aus rotem Granit, und eine goldene Aton-Scheibe leuchtete durch das Dunkel. Théos Hand krampfte sich um die Taschenlampe. Die Explosion einer Granate erschütterte die Wände.
»Théo, wie weit bist du?«, fragte Khalid. »Was siehst du?«
»Er ist hier drin.« Théo trat beiseite.
»Schnell, verflucht! Macht schnell!« Kassamatis, der zurückgekehrt war, spähte durch die Öffnung.
»Es kann nur wenige Minuten dauern. Die Steine sind aus Lehm«, sagte Khalid. »Los, ihr beiden!«
Die Beduinen schlugen mit ihren Spitzhacken auf die Steine ein. Théo schlüpfte als Erster durch das Loch. Nach dreiunddreißig Jahrhunderten lag noch immer der Geruch der Harze in der Luft, die die Einbalsamierer benutzt hatten. Er erkundete die Wände mit der Lampe und hielt sie dann auf den Sarkophag gerichtet.
Auf den Deckel waren dieselben vier Schriftrollen graviert wie auf den beiden Türen. Auch hier war die vierte gelöscht. In alle vier Ecken des Sarkophags war die Büste einer Frau geschnitzt: Nofretete. Die Züge der Büste aus dem Berliner Museum waren unverkennbar. Zu Füßen des Sarkophags war eine Nische gegraben. Théo bückte sich und zog ein quadratisches Kästchen aus rotem Granit hervor. Er öffnete es. Es enthielt vier Alabastervasen, jede mit einem Deckel in Form eines Falkenkopfes verschlossen: die Kanopen, in denen die Organe Echnatons beigesetzt waren.
Während die anderen sich um den Sarkophag herum zu schaffen machten, starrte Théo hingerissen auf die Fresken, die die Wände bedeckten. So etwas hatte er im Grab eines Pharaos noch nie gesehen.
Echnatons Schiff fuhr nachts über den Nil, unter einem mit zahllosen Sternen übersäten und von geheimnisvollen Lichthöfen erhellten Himmel. Vom hohen Bug aus drang der Schein von Fackeln durch die Dunkelheit. Es war, als hörte man den Singsang der Ruderer und das Klatschen der Wellen gegen die Schiffswände. Das Fresko auf der Wand daneben zeigte die Geleitschiffe des Pharaos. Auf den letzten beiden Fresken legten die Schiffe an einem Hafen an. Aus den Fenstern der Häuser leuchteten die Flämmchen Tausender kleiner Leuchten, und auf dem Gipfel eines Hügels erhellten große Glutbecken die Säulen eines Tempels. An den Ufern des Nils wimmelte es von Menschen, die Fackeln trugen, sich an die Brust schlugen und die Haare rauften. Sais. Das Lichterfest von Sais.
Théo kam eine Passage aus Herodots Historien in den Sinn, die er unzählige Male gelesen hatte:
In einer bestimmten Nacht entzünden in der Stadt Sais alle Menschen viele Lichter um ihre Häuser herum. Die Leuchten sind Schalen, gefüllt mit Salz und Olivenöl, auf dessen Oberfläche ein Docht schwimmt, der die ganze Nacht lang brennt … Das Fest heißt Lichterfest … Dies geschieht nicht nur in Sais, sondern in ganz Ägypten … Es geht dabei um eine heilige Erzählung, welche erklärt, warum diese Nacht so viel Verehrung erfährt.
Warum war Echnaton nach Sais gefahren? Warum war dieser Besuch so wichtig gewesen, dass er auf den Wänden seiner Grabkammer verewigt werden musste?
» Christos! Hältst du das für den richtigen Moment, dich in der Betrachtung von Fresken zu verlieren? Hilf uns lieber, diesen Deckel abzunehmen, verdammt noch mal!«
Die anderen hatten versucht, den Deckel des Sarkophags – eine etwa zwölf Zentimeter dicke Granitplatte – zu verschieben, indem sie alle zusammen dagegendrückten. Aber die Platte schien festzuklemmen.
»Sie ist wie ein Korken auf den Sarkophag gepfropft«, sagte Théo. »Wir bräuchten eine Brechstange, um sie anzuheben.«
»Warum nehmen wir nicht die Spitzhacken?«, schlug Khalid vor.
Théo und Khalid schlugen an zwei gegenüberliegenden Stellen mit den Hacken gegen den Deckelrand. Nach einigen Schlägen hatten sich die Spitzen der Hacken in den Spalt gebohrt, wo der Deckel auflag.
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