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Curia

Curia

Titel: Curia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oscar Caplan
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Dieses war der letzte Saal. Wo lag die Grabkammer? Er ließ den Lichtstrahl über die Wände wandern, auf der Suche nach einer Tür. Nichts. Wieder nur Fresken und Truhen. Wenn dies ein Grab war, wo war der Sarkophag? Was bedeuteten all diese Fresken? Was war in den Truhen?
    Trotz seiner Enttäuschung ließ er sich wieder von der Poesie der Wandgemälde fesseln. Echnaton und Nofretete saßen nebeneinander, reichten einander Lotusblumen und tauschten Liebkosungen aus. Die Wände um sie herum waren mit Weinstöcken voller Trauben bemalt, es gab Bilder der Sümpfe am Nil und Wasserbecken voller bunter Fische, die über einen dichten Teppich aus Wasserpflanzen schwammen. Wieder kehrten Théos Gedanken zurück zu den traditionellen Fresken und Statuen mit ihren steifen Posen und ausdruckslosen Gesichtern, denen jedes Gefühl fremd war.
    Er ging zu dem Wandgemälde und strich mit der Hand über die Figur des Echnaton. Deine Welt war noch nicht bereit für eine so schöne Seele wie dich, und auch die Welt von heute wäre es nicht.
    Mit schnellen Schritten kam Khalid herein, gefolgt von Kassamatis und den beiden Beduinen. Ihre Taschenlampen erforschten die Wände.
    »Wie ich’s mir gedacht habe«, sagte Khalid. »Auch hier nicht die kleinste Spur einer Grabkammer. Théo, verstehst du das?«
    Théo schüttelte gedankenverloren den Kopf. »Habt ihr die Truhen geöffnet?«
    »Mach dich auf eine Überraschung gefasst.«
    Die beiden Beduinen nahmen den Deckel einer Truhe ab. Khalid leuchtete mit der Lampe auf deren Inhalt. Der Lichtstrahl brachte einen Berg goldenen Geschmeides mit kostbaren Steinen zum Glitzern. Die Beduinen öffneten die drei anderen Truhen im Raum. Myriaden bunter Lichtreflexe tanzten über die Wände und die Decke. Théo griff in eine Truhe: goldene Armreifen mit Rubinen besetzt, mehrfach geschlungene Halsketten aus Smaragden, Saphiren und Lapislazuli, Anhänger aus Gold mit Gemmen aus Edelsteinen, die Gottheiten des ägyptischen Pantheons darstellten.
    »Und so sieht es überall aus«, sagte Khalid.
    Théo ging auf Kassamatis zu, der mit einer unergründlichen Miene mitten im Raum stand. »Los, sprich! Wo ist er versteckt?«
    »Hör doch auf!« Kassamatis umfasste mit einer Handbewegung die Fresken und Truhen. »Das Grab muss hier irgendwo sein. Bist du nicht der Archäologe? Warum machst du dich nicht an die Arbeit, statt deine Zeit mit diesen Fresken zu vergeuden?«
    »Dieser Ort scheint mir alles andere als ein Grab zu sein«, sagte Khalid zu Théo gewandt. »Weißt du, was er ist? Das Versteck eines Schatzes, und zwar des Schatzes auf der Kupferrolle. Warum vergessen wir Echnaton nicht einfach? Lass uns so viele Kisten wie möglich mit diesem Zeug füllen und uns sofort überlegen, wie wir aus Saudi-Arabien herauskommen!«
    »Was wir suchen, ist unendlich viel mehr wert als diese Truhen«, sagte Théo.
    »Tja. Aber wo ist es?«
    Théo ließ den Lichtstrahl über die Fresken wandern. »Sie wirken wie ein Hymnus auf das Leben. Doch wenn man genau hinschaut, erkennt man eine melancholische Grundstimmung …«
    »Das ist vielleicht die Sehnsucht nach dem fernen Ägypten.«
    »Es ist mehr als nur Heimweh. Meiner Meinung nach drücken sie das traurige Andenken an jemanden aus, der nicht mehr da ist, und sie sind ein Zeugnis dessen, was er repräsentierte, als er noch lebte. Eine Art Totenbuch in der Amarna-Version.«
    »Und die Truhen?«, fragte Khalid. »Wie erklärst du die? Was sollen die hier? Angenommen, es ist so, wie du sagst, warum sollte man ihm ein solches Geschenk machen, vor allem nachdem er gestorben war? Seinetwegen und wegen seines Gottes haben die Menschen, die mit ihm gegangen sind, alles verloren: ihre Heimat, ihre Familie, all ihre Güter … Von wegen Schätze als Grabbeigabe! Ich hätte ihn den Geiern zum Fraße vorgeworfen.«
    Bei diesen Worten wurde Théos Miene nachdenklich. Er hatte sich ein zu idyllisches Bild gemacht. Echnatons Anhänger hatten ihn vielleicht einmal geliebt, doch im Exil mussten ihre Gefühle sich in Verzweiflung, womöglich in Hass verwandelt haben. Warum hatten sie den Schatz nach seinem Tod dort gelassen? Warum hatten sie ihn nicht mitgenommen, wohin auch immer sie gezogen waren? War das hier ein vorübergehendes Versteck? Nein. Diese Fresken hatte einer gemalt, der wusste, dass er nie mehr wiederkehren würde. Sie waren ein Abschied.
    »Die Fresken drücken nicht nur Trauer, sondern noch etwas anderes aus«, sagte Théo, als spräche er zu sich selbst.

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