Curia
Dann setzten sie die Hacken als Hebel ein. Die Beduinen halfen ihnen, indem sie, gegen den Sarkophag gestemmt, an den Griffen des Deckels zogen. Der Deckel hob sich. Sie schoben ihn beiseite, die schwere Granitplatte fiel zu Boden und zerbrach mit einem lauten Krachen, das durch die Grabkammer dröhnte. Ein verfaultes Leichentuch aus rotem Leinen kam zum Vorschein. Theó zog es fort.
Gold und Edelsteine funkelten im Licht der Taschenlampen: ein zweiter Sarkophag aus Holz. Es wurde still in der Grabkammer, jemand hustete leise. Auf den Sargdeckel war die Büste des Pharaos geschnitzt, bedeckt mit Gold und intarsierten Gemmen. Gesicht und Hände waren mit Blattgold bemalt. Der Pharao hielt die Arme über der Brust gekreuzt, in der linken Hand eine goldene Geißel, in der rechten den Krummstab, auf dem sich Ringe aus Gold und blauem Kupfer abwechselten. Die Streifen des Nemes bestanden aus Gold und Lapislazuli. Der Prunkbart war aus Obsidian, und aus der Stirn kamen die Uräusschlange und der goldene Geier hervor. Augen und Augenbrauen waren Intarsien aus schwarzer, weißer und blauer Glaspaste.
An jeder Seite des Sarkophags hingen zwei goldene Griffe, die wahrscheinlich dazu gedient hatten, ihn in den Granitsarg zu senken. Der Deckel war mit sechs großen goldenen Haken verschlossen, drei auf jeder Längsseite. Sie öffneten die Haken und hoben den Deckel hoch. Wie erwartet, erschien ein dritter Sarkophag.
Die in den Deckel geschnitzte Büste glich der vorherigen, doch diese war mit massivem Gold verkleidet, und auf Gesicht, Armen und Hals saßen unzählige Smaragde und Saphire. Eine verwelkte Girlande aus hellblauen Lilien lag auf dem Sarkophag. Théo berührte sie leicht mit der Hand. Dann lösten sie die Haken des Deckels und hoben ihn alle gemeinsam an. Echnatons Mumie.
In der Stille der Grabkammer hallten gedämpft die Schüsse von draußen wieder.
Der Kopf der Mumie war mit einer Maske aus massivem Gold und kostbaren Steinen bedeckt. Sein Blick blieb an einer Kette hängen, die um den Hals der Mumie hing. Das Schmuckstück war von schlichter Machart und kontrastierte mit der prächtigen Maske. Die Kette bestand aus blauen Keramikröhrchen, zwischen die rote Korallen gefädelt waren. An der Kette hing ein merkwürdiger Anhänger, eine Statuette aus Türkis. Sie stellte eine sitzende menschliche Figur dar, die einen goldenen Nefer in der Hand hielt. Das stammte nicht aus der Amarna-Zeit, es war viel älter. Warum diese Kette? Théo hob sie an und musterte die Statuette im Schein der Taschenlampe. Der Türkis flammte auf, und leuchtend grüne Adern schienen hindurch.
Auf der Brust der Mumie lag ein lederner Zylinder: das Futteral eines Papyrus. Théo wollte es gerade an sich nehmen, als eine Reihe von Schriftrollen an der Innenwand des Sarkophags seine Aufmerksamkeit erregte. Vier Inschriften, waagerecht untereinander. Er leuchtete auf die letzte. Sie war nicht gelöscht. Théo erstarrte vor Staunen. Er beugte sich vor, hielt die Taschenlampe an die Inschrift und fuhr mit den Fingern über die in das Oval geritzten Hieroglyphen. M o s e s … In wirrer Folge schossen ihm seine biblischen Forschungen und die Lektüre der Bücher von Meyer, Beke und Freud durch den Kopf. Alles fügte sich zusammen. Echnaton und Moses waren ein und dieselbe Person.
Manetho hatte durchaus nicht gelogen, es sei denn, man wollte eine allegorische Umschreibung Lüge nennen. »Achtzigtausend Leprakranke und andere Unreine wurden zum Arbeiten in die Steinbrüche am Ostufer des Nils geschickt«, hatte er in den Aegyptiaca geschrieben. Unreine. Théos Eingebung war kein Irrtum gewesen. Während der 18. Dynastie bezeichnete das Wort »Unreine« nicht nur Seuchenkranke, sondern auch Chaos und Anarchie. Und die Zahl achtzigtausend konnte kein Zufall sein. Denn darin waren sich alle Archäologen einig: Achtzigtausend Einwohner zählte Achet-Aton zur Zeit seiner größten Ausdehnung. Und nicht zuletzt lag die Stadt Achet-Aton am Ostufer des Nils.
Ein weiterer Passus bei Manetho fiel ihm ein: »Sie wählten sich einen Anführer unter den Priestern von Heliopolis, welcher sich Osarsiph nannte … und er ging mit ihnen und änderte seinen Namen in Moses … Er sagte ihnen, dass sie die ägyptischen Götter nicht mehr anbeten dürften.«
»Das ist Moses.« Théo blickte Kassamatis scharf an. »Du hast es gewusst, nicht wahr?«
»Moses?«, fragte Khalid entsetzt, mit aufgerissenen Augen. »Willst du sagen, dass Echnaton Moses ist? Ein und
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