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Curia

Curia

Titel: Curia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oscar Caplan
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reisen. Weißt du, wo Van Gogh es gemalt hat? In einer Irrenanstalt in Saint-Rémy. Dort sah er den Himmel der Provence durch ein Gitterfenster.«
    Bevor er sich der Malerei widmete, hatte Van Gogh als evangelischer Laienmissionar bei den Kohlenbauarbeitern einer sehr armen Gegend Belgiens gearbeitet, wo er die Lehre Jesu wörtlich umsetzte. Er schenkte den Armen sogar seine Kleider und das wenige Geld, das sein Vater ihm schickte, und wurde nicht müde, gegen die miserablen Arbeitsbedingungen der Bergmänner zu kämpfen.
    »Zur Belohnung entließ ihn die Kirche. Weißt du, warum? Weil es ihm an ›Gefühl für Anstand‹ mangelte. Von da an wurde die Suche nach Gott zum beherrschenden Thema seiner Bilder, ohne dass er Heilige oder Madonnen malen musste.«
    »Was fasziniert dich so an diesem Bild?«
    »Der besessene Gebrauch der Farbe. Kein anderer Maler hat das Übernatürliche so auf die Leinwand zu bannen vermocht wie Van Gogh. Der Himmel der Sternennacht ist der beste Beweis, dass Bells Gesetz zutrifft.«
    In einem Brief an seinen Bruder Théo habe Van Gogh geschrieben: »Wer das Bedürfnis nach etwas Unendlichem verspürt, nach etwas, worin er Gott erblicken kann, braucht nicht weit zu schauen.« Oder: »Genügt die Bibel wirklich?«
    Théo betrachtete Kassamatis. Er sprach nicht mit seinem Gegenüber, sondern mit sich selbst. Dies war ein anderer Mann als der in Lazarus’ Taverne oder der in der Wüste. Er war noch immer der Schurke, der das Grab in die Luft gesprengt hatte, und er würde sicherlich weiterhin seine schmutzigen Geschäfte betreiben. Doch er war auch der Mann, der noch immer in den Sternenhimmel starrte und sich nicht nur die immer gleichen Fragen stellte, sondern auch nach Antworten suchte. ›Der Mensch kam aus dem uranfänglichen Chaos des Nun als untrennbare Verschmelzung von Gut und Böse‹, hatte Thutmosis vor dreitausend Jahren geschrieben.
    »Du hast meine Frage nicht beantwortet. Was hast du in dem Grab gesucht?«, fragte Théo.
    »Glaubst du, ich hätte mir die Fresken nicht angesehen? Das Bild vom Lichterfest? Als ich es sah, musste ich sofort an die Sternennacht denken. Diese Explosionen in Gelb mit denselben Lichthöfen. Aber es gibt einen Unterschied.«
    Théo blickte ihn fragend an.
    »Im Fresko vom Lichterfest fehlt die Qual, die sich in Van Goghs Sternennacht ausdrückt. Man sieht ein Geheimnis und das Versprechen einer Antwort. Es ist, als hätte Echnaton gefunden, wonach Van Gogh sein ganzes Leben lang gesucht hat.«
    »Was?«
    »Gott, in einem gelben Pinselstrich.«
    Théo musste an einen Satz aus dem Papyrus denken: »Ich habe nur verstanden, dass er das Licht anbetete oder eher etwas, was das Licht hervorbrachte«, hatte Thutmosis geschrieben. Und wieder tauchte die Frage auf: Was hatte Echnaton in dieser Nacht im Großen Phönix-Tempel gesehen? Was hatte er entdeckt?
    Der Kopilot kam zu ihnen. Sie hatten mit dem Anflug auf den Flughaften Charles de Gaulle begonnen. In Paris regnete es bei elf Grad. Sie würden Monsieur St. Pierre aussteigen lassen und dann sofort nach Newark weiterfliegen.
    »Das Pulver … haben die in Brookhaven schon angefangen, es zu analysieren?«, fragte Théo.
    »Ich kann dir nur sagen, dass es außergewöhnliche Eigenschaften besitzt. Sie werden Monate brauchen, um es gründlich zu erforschen, aber ich glaube nicht, dass sie jemals zu einer Lösung des Rätsels kommen. Das Pulver wird irgendwann aufgebraucht sein, und die paar Gramm mehr, die Raisa hat, werden das Geheimnis bestimmt nicht lüften.«
    »Wo liegt das Problem, deiner Meinung nach?«
    »Ich denke, es hat etwas mit dem Ort zu tun, dem geografischen Ort meine ich. Das habe ich sofort gespürt, als ich das Fresko sah. Sais muss ein besonderer Ort gewesen sein. Warum hat man ausgerechnet das Lichterfest auf die Wände der Grabkammer gemalt? So, und jetzt habe ich da noch etwas für dich.«
    Kassamatis stand auf und verschwand durch eine Tür.
    Er kehrte mit zwei prall gefüllten Ledersäcken zurück und stellte sie auf das Tischchen. Théo öffnete einen der Säcke und starrte verblüfft auf den Inhalt. Die Juwelen. Er zog einen Armreif aus massivem Gold heraus, in den ein Auge des Horus aus Türkis eingefasst war.
    »Behalte sie, gib sie dem Louvre, mach damit, was du willst. Für Khalid habe ich schon gesorgt. Er ist nicht mit leeren Händen nach Kairo zurückgekommen, glaub mir.«
    »Das waren also die technischen Gründe der Zwischenlandung in Cap Drakanos? Jetzt verstehe ich die

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