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Curia

Curia

Titel: Curia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oscar Caplan
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Das Licht spielte mit den Bernsteintönen des Holzes. Er setzte die Geige an und verharrte in dieser Stellung, ohne den Bogen über die Saiten zu bewegen. Mit einem Seufzer legte er das Instrument und den Bogen auf den Tisch und warf den Kopf nach hinten über die Rückenlehne.
    »Du suchst alles mögliche, aber nicht Gerechtigkeit«, hatte Kassamatis in der Oase gesagt. Richtig. Es war Rache gewesen. Aber jetzt nicht mehr. Er verspürte keinen Hass mehr. Warum? Was hatte sich verändert? »Wer das Bedürfnis nach etwas Unendlichem verspürt, nach etwas, worin er Gott erblicken kann, braucht nicht weit zu schauen«, hatte Van Gogh an seinen Bruder geschrieben.
    Alles stand mit allem in Wechselwirkung, ungehindert durch Zeit und Raum. Das hatte Bell mit seinem Gesetz der Nichtlokalität entdeckt. Alle Trennung ist nichtig, sagten die östlichen Mystiker, denn alles ist miteinander verbunden. Der Grund unseres Leidens, hatte Buddha gesagt, seien unser hartnäckiges Festhalten an trügerischen Gebilden – Gegenständen, Personen, Ideen – und unsere Weigerung, auf das Fließen der Dinge zu hören und die Unbeständigkeit des Seienden zu erkennen.
    Théo fielen die Verse von John Donne ein, die er von einem buddhistischen Mönch in Sri Lanka gehört hatte: »Kein Mensch ist eine Insel, in sich selbst vollständig … Jeder Mensch ist ein Teil des Ganzen … Frag also nie, wem die Stunde schlägt: Sie schlägt dir.« Der Mönch hatte dieses Gedicht auf einer Tagung über das Mitleid zitiert, auf die Vanko ihn vor einigen Jahren mitgeschleppt hatte.
    Vor seinen Augen drehten sich die Lichthöfe der Sternennacht von Van Gogh und vermengten sich mit den Aureolen auf dem Fresko vom Lichterfest. Was trieb einen Mann wie Kassamatis dazu, sich auf eine Düne zu legen, um die Sterne zu betrachten und sich vorzustellen, er sei ein Lichtstrahl und würde bis an die Grenzen der Welt rasen?
    Abrupt streckte Théo die Hand zum Telefon aus, wählte die Auskunft und bat um die Nummer des British Museum. Er tippte sie ein und fragte nach Duncan Carnegy, dem Konservator der Abteilung Egyptian Antiquities.
    »Ich mache dir einen Vorschlag«, sagte Théo.
    »Ich höre«, sagte Carnegy.
    Nach dem Telefonat packte Théo Sachen für eine Nacht in eine Tasche, rief ein Taxi und fuhr zum Flughafen.
    In der Halle A des Terminal 1 blickte er zur Anzeigetafel der Abflüge. Alle halbe Stunde gab es einen Flug nach London. Als er eine Neonreklame der France Telecom sah, eilte er in den Laden und betrachtete die ausgestellten Mobiltelefone. Er kaufte dasselbe Modell, das er in der Wüste verloren hatte – oder hatte dieser Gauner Alex es ihm geklaut? Er hatte vergessen, ihn danach zu fragen. Der Angestellte rief die Daten seines Telecom-Vertrags am Computer ab und übertrug sie auf den Chip.
    Kaum war er wieder draußen, rief er Raisa an. Ihr Telefon war noch immer abgeschaltet. Er wiederholte seine Botschaft. Er habe ein neues Handy, sagte er, aber die Nummer sei dieselbe wie vorher. Er würde jetzt nach London fliegen und dort bis morgen Nachmittag bleiben. Sein Telefon sei immer eingeschaltet. Dann rief er ihre Praxis an und hinterließ dieselbe Nachricht für Arlène. Er stellte sich in die Schlange vor dem Ticketverkauf.

    LONDON, ST. KATHERINE DOCKS, FRÜHER NACHMITTAG
    Ein Kranwagen auf Gummiketten hielt vor Cleopatra’s Needle. Zwei Polizeiautos mit der Aufschrift »Westminster Borough Metropolitan Police« postierten sich mit rotierendem Blaulicht auf dem Dach vor und hinter den Kranwagen, quer über die St. Katherine Docks. Aus den Autos stiegen zwei Polizisten mit gelben Leuchtwesten und begannen, den Verkehr zu regeln.
    Dem Fahrerhaus des Kranwagens entstieg ein Mann in blauem Overall, Schutzhelm und gelben Handschuhen. Auf seinem Rücken prangte die Aufschrift »British Museum«. Über seiner Schulter hing ein Presslufthammer. Er stieg in den Fahrkorb auf der Arbeitsplattform, der Teleskoparm erhob sich, machte eine Vierteldrehung um sich selbst, und die Plattform fuhr auf den Obelisken zu.
    Inzwischen hatte sich um den Sockel des Obelisken eine Schar Neugieriger und Touristen versammelt. Alle blickten nach oben, Blitzlichter flammten auf. Ein Volvo-Transporter der BBC Television parkte hinter dem Kranwagen, und drei Techniker hantierten mit Kabeln, Stativen und Kameras.
    Etwa zehn Meter unterhalb der Spitze des Obelisken hielt die Plattform an, und nachdem sie einen Halbkreis vollführt hatte, befand sich der Mann in dem Korb an der

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