Curia
Universum umherirrten, oder waren wir beides? Gehörte der Geist wirklich zu diesem Universum? Oder zu allen Welten des Multiversums? Was war diese Energie, die alles mit allem verband? Wenn Quanten nur unter den Augen eines Beobachters zur Materie wurden, wer hatte dann die Wellenfunktion des allerersten Quantenzustands am Nullpunkt der Zeit »zusammenbrechen« lassen und damit den Urknall ausgelöst? »Dort oben hatte ich das Gefühl, nicht allein zu sein«, hatte Mayo gesagt. War das das Geheimnis des Weißen Pulvers: das Quantenpotenzial von Bohm? Verbarg sich dort die Antwort auf alle Fragen des Menschen? Vielleicht hatte Bohr einen Fehler gemacht, als er seine Theorie eine »Deutung« genannt hatte, dieses Wort hatte etwas Anmaßendes. Die Entdeckungen von Bohm und Bell zeigten, dass der Mensch angesichts der Geheimnisse des Universums ein armseliges Nichts war, verloren in einem Kosmos, der von einer dem Menschen unfassbaren Kraft gesteuert wurde, die sich viel schneller bewegte als das Licht, was auch immer Einstein dazu sagen mochte. Etwas oder jemand, den wir niemals erreichen würden. Kopenhagener Deutung? Nein, es war nur eine Hypothese. So hätte sie heißen müssen: die Kopenhagener Hypothese. Doch bedeuteten die beiden Begriffe nicht dasselbe? Nein, der Unterschied war der Himmel der Sternennacht , etwas, was kein Wort jemals würde ausdrücken können. Keiner konnte »deuten«, was nicht zu deuten war.
»Ein Physiker hat gesagt, wir seien alle Kinder der Sterne«, sagte Kassamatis. »Du liebst doch Gedichte. Weißt du, was William Blake vor zwei Jahrhunderten schrieb? ›Die Welt in einem Sandkorn sehen und den Himmel in einer wilden Blume. Halte die Unendlichkeit in der Handfläche und die Ewigkeit in einer Stunde.‹ Blake war viel mehr als ein Dichter: Er war ein Erleuchteter. Er hatte schon damals alles begriffen, auch ohne Teilchenbeschleuniger.«
»Ist das der Grund für eure verbissene Jagd auf das Weiße Pulver?«
»Wundert dich das? Kannst du dir vorstellen, was es bedeutet, mit den Parallelwelten der Zukunft in Kontakt zu treten, um dann mit diesem Wissen in die Gegenwart zurückzukehren?«
»Was sollte in Echnatons Grab passieren?«
Kassamatis nahm einen tiefen Zug von seiner Zigarette. »Sobald das Geheimnis gelüftet war, sollte ich dich töten.«
Das Brummen der Motoren untermalte seine Worte.
»Und wenn wir es nicht entdeckt hätten?«
»Dann auch.«
Wieder durchfuhr Théo der stechende Kopfschmerz, und die Fresken der Grabkammer mit ihren unzähligen flackernden Lichtern wirbelten vor seinen Augen.
»Warum hast du Fitzwilliam im Glauben gelassen, dass du mitspielst?«
»Weil ich es wissen wollte, verstehst du das denn nicht? Nicht für das Falcon-Projekt, nein, für mich selbst.«
»Was wissen?«
Kassamatis drückte die Zigarette aus und legte seine Beine hoch. »In Ikaria bin ich als kleiner Junge mit Lazarus in einem Fischerboot aufs Meer hinausgefahren. Nachts, wenn die anderen schliefen, stieg ich aufs Deck. Ich legte mich in ein Beiboot und blieb stundenlang dort liegen, um die Sterne zu betrachten. Ich stellte mir vor, ich wäre ein Lichtstrahl und raste durch den Kosmos auf der Suche nach den Grenzen der Welt, weil ich sehen wollte, was dahinter ist. Aber je schneller ich raste, desto weiter dehnte das Universum sich aus, als wäre das Licht zu langsam, um es einzuholen. Wie kann man sich etwas Unendliches vorstellen? Auf diese Frage lief es immer hinaus. Es wäre, als könnte man in Gottes Kopf blicken.«
Vor wenigen Tagen, fuhr Kassamatis fort, als der Sandsturm im Wadi Aynunah wütete, habe er abgewartet, bis der Wind sich legte, und sich dann mit seinem Schlafsack auf den Kamm einer Düne gelegt. Der Himmel war eine einzige Explosion aus Sternen. Inzwischen sei er vierzig Jahre älter, aber seine Fragen seien noch dieselben.
»Unter den Gemälden, die ich von Spyro gekauft habe – dieser Schurke fehlt mir, und nicht wegen der Stücke, die er mir verkauft hat –, gibt es einen Van Gogh, von dessen Existenz die Welt nichts weiß. Das Bild ähnelt der Sternennacht im Museum of Modern Art in New York. Ich habe es im Keller meines Hauses in Ikaria aufgehängt. Wenn ich nachts nicht schlafen kann, schließe ich mich mit einer Flasche Malagouisa im Keller ein. Während ich mich betrinke, betrachte ich diese bunten Pinselstriche, und die gelben Lichthöfe drehen sich um mich herum wie irre Kreisel. Dieses Bild zu betrachten ist, wie durch Everetts Parallelwelten zu
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