Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Curia

Curia

Titel: Curia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oscar Caplan
Vom Netzwerk:
sich wieder und zog einen Zeitungsartikel aus seiner Bibel. »Das ist im Oktober 1999 in der israelischen Tageszeitung ›Haaretz‹ erschienen. Der Autor ist Zeev Herzog, Archäologe an der Universität Tel Aviv und Jude.«
    Herzog schrieb, dass die Patriarchen niemals existiert hätten und dass der Exodus und die blitzartige Eroberung Kanaans pure Erfindungen seien. Die Ausgrabungen von Kathleen Kenyon in den Fünfzigern hätten bewiesen, dass Jericho am Ende des dreizehnten Jahrhunderts vor Christus, der Zeit, in der Josua angeblich in Kanaan angekommen sei, unbewohnt war und es gar keine Mauern gab, die einstürzen konnten. Die Radiokohlenstoffdatierung zeigte, dass die Stadt um 1560 v. Chr. zerstört worden war und bis zum achten Jahrhundert entvölkert blieb. Das Gleiche gelte für die anderen Städte Kanaans, die im Buch Josua erwähnt wurden: Entweder seien sie Jahrhunderte früher zerstört worden wie Ai, das die Amoriter um 2000 v. Chr. dem Erdboden gleichgemacht hatten, oder es habe sie damals noch nicht gegeben.
    »Die Wahrheit ist, dass nie eine ›Eroberung Kanaans‹ stattfand.« Théo warf die Bibel auf den Tisch.
    »Aber kehren wir zum Sinai zurück. Die Wüste Sinai ist eine der trockensten Gegenden der Erde. Wie hätte diese Menschenmenge in einem solchen Hochofen ohne einen Tropfen Wasser vierzig Jahre lang überleben können?«
    Michaela zerrte an dem goldenen Medaillon ihrer Kette mit dem aufgeprägten Symbol der Menora. »Ich antworte dir mit der Bibel. Das Wasser gab ihnen Jahwe.«
    »Ich glaube an die Wissenschaft, nicht an Wunder.«
    »Wunder geschehen denen, die an Wunder glauben, aber ich verstehe, dass das für einen Atheisten schwer nachvollziehbar ist.«
    »Wunder sind ein Alibi für alle, die nicht ›das weiß ich nicht‹ sagen wollen. Das Wasser in den Oasen der Wüste Sinai reichte höchstens für ein paar Beduinenstämme und ihr Vieh, und die Archäologen haben festgestellt, dass die geologische Beschaffenheit der Sinaihalbinsel sich seit der Steinzeit nicht verändert hat.«
    Außerdem wimmelte es in biblischer Zeit im Sinai von ägyptischen Soldaten: nicht nur an der Straße von Horus, der Karawanenstraße entlang der Nordküste, die Ägypten mit dem Land Kanaan verband, sondern auch im Süden, dem Weg des biblischen Exodus, wegen der Minen, die von ägyptischen Garnisonen bewacht wurden.
    »Ist es angesichts der konfliktträchtigen Umstände, unter denen die Juden Ägypten verließen, vorstellbar, dass Hunderttausende Juden auf der Flucht vierzig Jahre lang ungestört durch den Sinai ziehen konnten?«
    »Weißt du, was Einstein gesagt hat, der Jude war?« Michaela sah Théo mitleidig an. »Er hat gesagt: ›Das Schönste, was der Mensch erleben kann, ist das Gefühl des Geheimnisvollen.‹«
    »Einstein glaubte nicht an die Bibel. Und wenn er zu Fuß mitten durch die Wüste Sinai hätte ziehen müssen, ohne einen Tropfen Wasser und verfolgt von den Streitwagen der Ägypter, hätte er wohl kaum ›das Gefühl des Geheimnisvollen‹ zu schätzen gewusst.«
    »Jetzt mal Klartext, Théo, worauf willst du eigentlich hinaus?«
    »Auf die Tatsache, dass es hier drin«, Théo wedelte mit der Bibel, »Tausende von Widersprüchen dieser Art gibt.«
    Für jeden Widerspruch gab es mindestens ein Dutzend sogenannter Gelehrter, Juden oder Christen, die sofort Einwände wie die Übersetzung des elef aus dem Hut zogen oder allegorische Bedeutungen anführten. Und immer sprach die Bibel selbst an irgendeiner anderen Stelle gegen sie, und wenn es nicht die Bibel war, so besorgten das die Geschichte oder die Archäologie.
    »Und wenn sie dann mit dem Rücken zur Wand stehen, kommen die Gelehrten mit dem Wort ›Glaube‹.«
    »Ah, endlich legt Herr ›Die-Religion-hat-nichts-damit-zu-tun‹ seine Karten auf den Tisch!« Michaela applaudierte.
    »Ich beschränke mich auf die Fakten, und die Fakten zeigen, dass die Bibel lediglich Frucht des kollektiven Traums eines Volkes ist, das verzweifelt nach einem besonderen Platz in der Geschichte sucht.«
    »Ich wusste gar nicht, dass der Louvre einen Flügel für Psychoanalyse eröffnet hat. Abgesehen davon, glaubst du, es ist einfach, mit einem ›Mythos‹, wie du ihn nennst, umzugehen?«
    »Es genügt, das Unmögliche abzuschöpfen, was dann bleibt, muss zwangsläufig die Wahrheit sein. Ich bezweifle allerdings, dass am Grund überhaupt etwas übrig bleibt.«
    Der Exodus war ein Mythos, davon war er jetzt mehr denn je überzeugt. Aber er war ebenso

Weitere Kostenlose Bücher