Curia
Hand umklammerte Nephers. »Jetzt hör gut zu, was ich dir zu sagen habe, mein Sohn. Misstraue ihnen. Immer .« Seine zitternde Hand hob sich in Richtung des Amun-Tempels. »Ihre Gebete richten mehr Schaden an als die Sicheln an den Streitwagen der Hethiter. Der wahre Feind Ägyptens und seines Pharaos ist nicht das Land Hatti, es sind die Amun-Priester.«
Von den Stromschnellen des Landes Kusch bis nach Djanet waren die Getreidespeicher der Amun-Tempel randvoll, den Tempeln gehörten die fruchtbarsten Ländereien, die Herden Amuns waren größer als jene des Pharaos und des Adels. Die Tempel waren Brutstätten der Verderbnis, außerdem von der Pestilenz infiziert, welche die Karawanen der Händler aus Asien mitgebracht hatten. Die Priester wagten es sogar, die Steuereinnehmer und die Beamten der königlichen Grundstücksverwaltung zu bestechen, indem sie nach jedem Nilhochwasser die Grenzsteine zu ihren Gunsten versetzen ließen, und die Bauern verarmten immer mehr. Die Gouverneure der zweiundvierzig Provinzen schenkten den Priestern mehr Gehör als den zwei Wesiren des Pharaos, denn als Lohn für Gefälligkeiten teilten die Priester die Tempelabgaben mit ihnen.
»Sie sind die wahren Herrscher über die Zwei Länder, nicht der Pharao.«
»Vater, was kann man da machen? Das Volk fürchtet sie. Die Häuser des Lebens und jene des Todes gehören den Tempeln. Die Einbalsamierer und die Totenarbeiter unterstehen dem Befehl der Priester, und aller Grund und Boden der Totenstädte gehört ihnen. Ohne Amun hat das Volk keine Möglichkeit, ein Grab zu kaufen und durch das Duat zu kommen.«
»Bekämpfe Amun, auf diese Weise wirst du auch die Macht seiner Priester bekämpfen.«
»Amun bekämpfen, Vater? Aber wie denn?«
»Mit Aton, mein Sohn, dem wahren Gott« – der keuchende Atem Amenhoteps mischte sich unter den Gesang der Priester –, »entsinne dich des Traumes deines Großvaters Thutmosis und der Stele zwischen den Füßen von Ra-Horakhty, der Sphinx.«
»Wo ist die Halle der Aufzeichnungen? Was verbirgt sich darin?«
»Dieses Geheimnis ist den Geweihten vorbehalten … Als Pharao wirst du ein Lehrling werden und den ersten Grad erlangen. Deine Initiationszeit wird fünf Jahre dauern, denn so steht es geschrieben …« Ein lang anhaltendes Stöhnen kam aus der Kehle des Pharaos, und Schweißperlen traten auf seine Stirn. »Am Ende des fünften Jahres wirst du das Geheimnis kennen … Dann wirst du begreifen, wer Aton ist und warum er der einzige Gott ist.«
»Vater, was muss ich als Erstes tun?«
»Sobald du … zum Pharao gekrönt bist, gehst du sofort … zum Tempel des Ra in Iunu …« Das Gesicht Amenhoteps wurde aschfahl, und sein Körper bäumte sich auf. »Sprich mit Meryre, dem Hohepriester. Er erwartet dich … Er wird dir sagen, was du …« Die Worte des Pharaos wurden zu einem Röcheln. »Vergiss es nicht. Alles wird in einer Nacht geschehen … Der Nacht des …«
Nepher sprang auf, seinen Vater an den Händen haltend. »Vater! Vater!«
Aus dem Nebenzimmer liefen Tiye und die anderen herbei. Der königliche Leibarzt beugte sich über den Pharao und legte ein Ohr auf seine Brust.
Er hob den Kopf und sah Tiye an. »Hoheit, der Sohn des Horus hat sich in den Himmel erhoben.« Er schloss dem Pharao die Lider.
Tiye ließ sich neben dem Bett sinken, nahm die Hand des Pharaos und legte sie an ihre Wange. Der Hüter der Zwei Tore des Paradieses trat herbei, schwenkte ein Weihrauchfass und stimmte ein Gebet an. Die Spiralen des Weihrauches schwebten über den Öllampen, und sein Duft erfüllte die Luft.
Nepher starrte gedankenverloren auf das schwingende Rauchfass. Was hatte sein Vater sagen wollen? Welche Nacht war das?
7 Die Bibel unter den Arm geklemmt, klopfte Théo an die Tür eines Büros. Auf dem Namensschild stand: »Michaela Rosenberg, stellvertretende Kuratorin der Ägyptischen Abteilung«. Er trat ein.
Michaela, eine Frau um die fünfzig mit platinblonden Haaren, Dior-Brille und Hermès-Schal, saß kerzengerade an ihrem Computer.
Es würde keine leichte Unterredung werden. Als Ägyptologin war Michaela eine Kapazität, aber sie war auch eine strenggläubige Jüdin. Überdies hatte sie sich noch nicht damit abgefunden, dass der Louvre ihn zum Kurator der Ägyptischen Abteilung ernannt hatte, obwohl er weniger Dienstjahre hatte. Deshalb versäumte Michaela keine Gelegenheit, sich als Klassenbeste aufzuspielen.
»Es tut mir sehr leid wegen deines Bruders.«
Der Tonfall
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