Curia
sich unter den Schreibtisch, stellte die Taschenlampe auf den Boden, sodass der Strahl die Unterseite der Platte beleuchtete, riss ein Stück Klebeband ab und klebte den Sender unter die Tischplatte.
Er erhob sich, um den Schreibtisch und den Fußboden im Schein der Taschenlampe zu überprüfen. Das Licht tanzte über den Tisch und blieb an einer Büste von Ramses II. hängen. Der Wachmann stellte sich neben ihr auf, die Brust geschwellt, das Kinn vorgestreckt, und betrachtete sein Spiegelbild im Fenster. Dann ging er hinaus.
Am nächsten Morgen parkte um sechs Uhr ein blauer Nissan-Kleinbus mit der Aufschrift »Touchard Électricité« und einer schwankenden Antenne auf dem Dach am Quai de Conti am linken Seine-Ufer, wenige hundert Meter vom Ostflügel des Louvre entfernt.
In dem Bus saß ein Mann mit dem Rücken eines Gewichthebers in einem rosafarbenen Unterhemd, tunkte ein Croissant in eine Tasse Café au Lait und verschlang es mit einem Bissen. Er wischte sich mit der behaarten Hand den Mund ab und machte sich dann an den Kabeln eines Aufnahmegeräts zu schaffen.
8 Die Tür schloss sich hinter dem letzten Patienten an diesem Tag. Raisa drückte die Taste der Sprechanlage und bat Arlène, ihre Sprechstundenhilfe, keine Telefonate mehr durchzustellen. Sie knipste die Gallé-Lampe an und begann, in den Kopien von Théos Pergamenten zu blättern.
Ein lang gezogener Pfiff ertönte von der Seine herauf. Sie wandte den Kopf zur Fenstertür. Im Wasser spiegelten sich die Farben des Sonnenuntergangs. Ein Kahn fuhr den Fluss in Richtung Pont St. Michel hinauf, eine Schaumspur hinter sich herziehend.
Raisa dachte an Théo. Hatte sie sich bereiterklärt, ihm zu helfen, weil die Geschichte sie neugierig machte, oder gab es einen anderen Grund? Sie dachte an ihre erste Begegnung zurück, und wieder spürte sie seinen Blick. Beim ersten Mal war sie es gewesen, die ihn zum Thema Reinkarnation um Hilfe gebeten hatte. Danach hatte er sich an sie gewandt. Als sie seine Stimme hörte, hatte sie sofort auf eine Einladung zum Abendessen gehofft, aber er hatte sie nur angerufen, um ihre Meinung über die Säulen des Salomon-Tempels zu hören. Die Einladung zum Abendessen war nie erfolgt.
Sie hatte Nachforschungen über ihn angestellt, aber nicht viel herausbekommen. Er war der Ägyptologe des Louvre und mütterlicherseits Grieche. Sein Vater war der berühmte Geiger Edmond St. Pierre gewesen, er hatte einen Bruder, der Kardinal war, er war seit zwei Jahren geschieden, keine Kinder.
»Meinst du etwa diesen Misanthropen?«, hatte jemand zurückgefragt. Es hieß von ihm, er ziehe die Gesellschaft seiner Geige, die er offenbar so gut spielte wie sein Vater, dem Umgang mit Menschen vor. Er hatte ihr sofort gefallen. Er erinnerte sie an den Schauspieler Jeremy Irons. Der gleiche intensive Blick. Er musste ihn von seiner Mutter geerbt haben. Dann diese entschlossenen Gesichtszüge und dieses reservierte Verhalten.
Ach, genug damit! Ihre Hand zuckte ungeduldig. Wie ein junges Mädchen bei seiner ersten histoire ins Schwärmen über einen Mann zu geraten …
Sie wandte den Blick von den Lichtern eines Bateau-mouche ab und nahm sich die Kopie des Briefes von Marsilio Ficino vor.
Es ist keine Lüge, es ist wahr, gewiss und absolut zutreffend: Das, was unten ist, ist so wie das, was oben ist, und das, was oben ist, ist wie das, was unten ist, um das Wunder einer Einheit zu erzeugen.
Die Ägypter glaubten so fest an den hermetischen Lehrsatz »wie oben, so auch unten«, dass sie die drei Pyramiden von Gizeh genau so am Nil aufgereiht hatten, wie die drei Sterne des Oriongürtels zur Milchstraße hin aufgereiht sind. Sie zweifelten nicht im Geringsten daran: Das Reich der Zwei Länder war die exakte irdische Replik des Himmelszeltes.
Marsilio Ficino hatte recht. Das Corpus Hermeticum entstand zwischen dem dritten und vierten Jahrhundert nach Christus, aber seine Verfasser hatten sich von den 42 Büchern Thoths inspirieren lassen.
Der Sage nach hatte der Gott Thoth selbst in diesen Büchern die Weisheit der Alten und das Geheimnis der Unsterblichkeit niedergeschrieben. Leider waren die Bücher dem Brand der Bibliothek von Alexandria zum Opfer gefallen, und Thoths Geheimnis war mit ihnen verschwunden. Doch die Legende berichtete auch, dass eines der Bücher vor den Flammen gerettet wurde, weil der Initiierte einer Mysterienschule es in der Wüste vergraben hatte.
War Hermes Trismegistos nur eine Verkörperung des
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