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Curia

Curia

Titel: Curia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oscar Caplan
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fort, in den letzten Jahren des »gemeinsamen Lebens« verbrachte Edmond nur noch wenige Wochen im Jahr zu Hause. Nach und nach hatte seine Mutter resigniert, schweigend, und die Streitereien wurden seltener. Sie war gealtert, innerlich und äußerlich, und als ihre Kinder erwachsen waren, verbrachte sie mehr und mehr Zeit auf Kos.
    Eines musste er Edmond zugestehen: Er hatte es der Familie nie an etwas mangeln lassen, außer an Liebe.
    Théo war überzeugt, dass Vanko ins Priesterseminar gegangen war, um von zu Hause wegzukommen. Vanko war sensibler, wehrloser als er und litt unsäglich unter der familiären Situation.
    Was ihn betraf, so hatte er sich oft gefragt, was ihn getrieben hatte, Archäologe zu werden statt Geiger. Hatte er Edmond ärgern wollen, weil er wusste, wie sehr sein Vater sich einen St. Pierre als Nachfolger wünschte? Nein, der Grund lag tiefer.
    Georgias Tod? Seit jenem Tag hatte er sich verändert: Er ertrug niemanden mehr, verteilte Zuneigung und Freundschaft nur noch in winzigen Dosen. Doch der Grund war ein anderer. Alles hatte viele Jahre früher begonnen. Er dachte zurück an den Tag auf dem Flughafen von Kos, als Alexia ihn nach Paris mitgeschleppt hatte.
    Nachts musste er oft an Kos denken. Am häufigsten stand ihm ein Bild vor Augen, auf dem er und Vanko sich in den Schatten der Heugarben setzten, um Seifenblasen zu machen. Es war Sommer. Das Zirpen der Grillen war ohrenbetäubend, die Luft roch nach Heu, und das Leben war ein ruhiger Fluss. In dieser Zeit der Seifenblasen hatte er sich als vollkommener Mensch gefühlt.
    Georgia. Sie war ihm nie mehr aus dem Kopf gegangen. Wie oft hatte er an diese Woche im Mai zurückgedacht? Er hatte eine Georgia im wirklichen Leben gesucht, doch nach dem Scheitern seiner Ehe mit Christiane hatte er es aufgegeben. Dann hatte er sie unter den Edelprostituierten gesucht. Wie viele Georgias hatte er ausprobiert? Arlène, Françoise, Carine… alle mit roten Haaren und grünen Augen. War die Haarfarbe nicht die richtige, mussten sie sich die Haare färben oder eine Perücke aufsetzen. Mit anderen Frauen klappte es im Bett nicht, inzwischen hatte er aufgehört, es zu versuchen. Er wusste, dass sie grüne Augen haben und rothaarig sein musste, damit er eine Erektion bekam.
    Doch bei jeder neuen Georgia dauerte die Illusion nur wenige Wochen, manchmal wenige Tage. Dann verflüchtigte sich der Traum, und die Suche begann von Neuem.

 
    10    Im Cour d’Honneur der Sorbonne ertönten Glockenschläge. Auf den Stufen des Kirchplatzes saß eine Gruppe plaudernder Studenten unter der Statue von Victor Hugo. Die Uhr der Chapelle zeigte 17:30 Uhr.
    Raisa überquerte den Hof, verschwand unter dem Säulengang der Ostfassade und stieg die große Marmortreppe zum ersten Stock hinauf.
    Schon bei dem Treffen mit Théo im Bistro hatte sie an Constance gedacht. Sie hatte ihr anvertraut, was Théo erzählt hatte, und sie gebeten, ihr zu helfen. Mit funkelnden Augen hatte Constance sofort zugesagt.
    Die Ägypter waren unübertreffliche Meister im esoterischen Symbolismus, aber Constance Landowski, Professorin für Philosophiegeschichte an der Sorbonne, konnte es mit ihnen aufnehmen. Ihre Veröffentlichungen über die Geometrie der Kathedrale von Chartres geisterten durch die Freimaurerlogen der ganzen Welt. Raisa klopfte an die Tür des Büros.
    »Keine einzige esoterische Quelle erwähnt eine Schule der Mysterien Thoths, Constance«, schloss Raisa. »Und was den Tempel des Ra-Harmakhis betrifft, so ist alles, was von Heliopolis übrig blieb, ein Obelisk in einem Vorort von Kairo.«
    Constance, eine majestätische Erscheinung mit junonischem Busen, langen aschblonden Haaren und einer runden Brille, rauchte eine flache Caballero in einer langen Elfenbeinspitze, während sie ihr zuhörte.
    »Ist die Sphinx etwa keine esoterische Quelle?«, fragte Constance mit einem kaum hörbaren polnischen Akzent.
    » Die Sphinx ? Was hat die damit zu tun?«
    »Theon schreibt, der Gründer der Bruderschaft sei Thutmosis IV. gewesen, den ein Traum dazu angeregt hatte. Ich habe meine Recherchen angestellt, Chérie. Dieser Traum erklärt vieles.«
    »Was hast du entdeckt?«
    »Der Traum hat Thutmosis IV. stark beeinflusst. So stark, dass danach der Aton-Kult in ganz Ägypten an Bedeutung zunahm, auf Kosten Amuns.«
    Thutmosis IV. war der Großvater Echnatons. Der Aton-Kult hatte sich während der Regentschaft Amenhoteps III., des Sohnes von Thutmosis IV. und Vaters von Echnaton, verbreitet

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