Curia
ununterbrochenes Summen.
»Monsieur le Comte, denken Sie an Ihre Versammlung im Elysee«, sagte eine weibliche Stimme über die Sprechanlage. »Unten wartet der Rolls auf Sie.«
»Ich komme in fünf Minuten herunter.«
Der Mann öffnete eine Kiste aus brasilianischem Zedernholz, nahm eine Cohiba Esplendido heraus und zündete sie mit einem goldenen Dunhill-Feuerzeug an. Er trommelte mit dem Feuerzeug auf den Schreibtisch. Durch die große Fensterfront sah man den Eiffelturm aufragen, dahinter die Hochhäuser von La Défense.
Er drückte die Tasten eines elektronischen Notizbuchs, schaute auf den Bildschirm und griff nach einem Mobiltelefon.
14 Raisa setzte sich in den Sessel vor dem Schreibtisch.
Théo beobachtete sie verstohlen, während sie in einer prall mit Papieren gefüllten Mappe wühlte. Die Bluse aus beiger Seide betonte ihre schwarzen Haare, und ihre Augen waren grün wie die Skarabäen auf ägyptischen Gräbern. Wie würde sie mit kupferroten Haaren aussehen?
»Als wir im Bistro über Vankos Notizen gesprochen haben«, sagte Raisa, »hast du gemeint, du verstehst nicht, was Amsterdam mit all dem zu tun haben könnte. Ich glaube, ich weiß es jetzt.«
Je mehr sie von der BPH und dem Büchlein erzählte, desto fassungsloser wurde Théos Gesichtsausdruck.
»Bist du dir darüber im Klaren, was …«
»Dieses Buch enthielt die Antwort, das habe ich gespürt. Jetzt ist die Sache erledigt, und wie du siehst, ist nichts passiert.«
Erst hatte Théo sich schuldig gefühlt, jetzt gingen ihm eine Menge Fragen durch den Kopf. Ein solches Risiko einzugehen passte nicht zu ihr. Warum hatte sie das getan?
»Warum kann es deiner Meinung nach nicht Marsilio Ficino gewesen sein, der die Intarsie in Auftrag gegeben hat?«, fragte Théo. »Er konnte Griechisch und Latein, und sein Brief an Cosimo zeigt, wie sehr ihn Hermes Trismegistos interessierte.«
Raisa reichte ihm eine Fotografie der Intarsie. »Das hier stimmt ganz und gar nicht mit der Vorstellung überein, die ich von ihm habe.«
Théo musterte das Foto. »Du meinst die Kleidung der Figuren? Das könnte eine Idee des Bildhauers gewesen sein.«
»Sehr unwahrscheinlich.«
Marsilio Ficino habe seine Übersetzung des Corpus Hermeticum im April 1463 abgeschlossen, so Raisa, 1473 sei er zum Priester geweiht worden, und die Intarsie stamme von 1488.
»Erstens«, sagte Raisa, »hätte ein Priester eine Darstellung, die so drastisch gegen den Kanon der christlichen Kunst verstößt, nicht gebilligt. Und wenn ihn Hermes Trismegistos so faszinierte, wie er schrieb, warum hätte er dann ein Vierteljahrhundert warten sollen, bevor er die Intarsie in Auftrag gab?«
»Könnte nicht Aringhieri das Werk angeregt haben? Er war adelig und Mitglied des Hospitalordens vom heiligen Johannes.«
»Und so gelehrt, dass er einen Satz wie Suscipite o licteras et leges Egiptii bilden konnte?«
Théo rieb sich die Nasenwurzel. »Nein, dafür braucht man sehr gute Lateinkenntnisse.«
»Diese Fragen erübrigen sich nach Amsterdam sowieso. Der Satz in dem Büchlein ›Ihr erhaltet die Buchstaben und die Gesetze, Ägypter‹ ist die genaue Übersetzung von Suscipite o licteras et leges Egiptii . Niemand anderes als Pico della Mirandola kann die Intarsie in Auftrag gegeben haben.«
»Die zweiundzwanzig Großen Arkanen finden sich in Tempeln, Monumenten und Palazzi … Warum sollte der ›Ort‹, der in dem Buch genannt wird, ausgerechnet der Dom von Siena sein?«
Raisa zog eine Monografie mit dem Titel Der Dom von Siena aus ihrer Tasche, schlug sie auf und reichte sie Théo, den Finger auf ein Foto gelegt. »Fällt dir nichts auf?«
Das Foto zeigte das Mittelschiff, das auf beiden Seiten von schwarz-weiß gestreiften Doppelsäulen begrenzt wurde. Die Säulen trugen Bögen, und oberhalb der Bögen zog sich auf beiden Seiten ein Fries mit einer endlosen Reihe von Marmorbüsten über die gesamte Länge des Mittelschiffs.
»Wen stellen diese Büsten dar?«
»Die ersten 171 Päpste. Der Magister sagt zu Ioannus: ›Es ist der Ort, wo die Päpste die Großen Arkanen betrachten.‹« Raisas Augen blitzten. »Und wohin blicken die Päpste?«
Théo betrachtete ein anderes Foto auf der rechten Seite, eine Nahaufnahme der Büsten von vier Päpsten. Sofort fiel ihm eine Besonderheit auf. Die Büsten waren nach vorn geneigt, sodass der Blick der Päpste sich auf die Seitenschiffe richtete, genau dorthin, wo die Großen Arkanen in die Wände gemeißelt waren. Raisa hatte
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