Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Curia

Curia

Titel: Curia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oscar Caplan
Vom Netzwerk:
Sie hatten zwar erst die ersten drei Jahre überprüft, doch er hatte gehofft, gerade in dieser Zeit, vor allem in den Monaten unmittelbar nach der Entdeckung des Grabes, etwas zu finden.
    Sollten sie weitermachen? In einem anderen Archiv suchen? Doch wo? Kein anderes Museum auf der Welt besaß so viel über Ägypten wie der Louvre. Wenn es in seinen Archiven keine Spur des Papyrus gab, dann konnte die Schlussfolgerung nur lauten: Den Papyrus hatte es nie gegeben.
    »Gaston, lass uns aufhören. Es lohnt sich nicht …«
    »Warte.« Die Augen auf einen Stapel Papiere geheftet, machte Gaston eine abwehrende Handbewegung. »Schau dir mal diesen Brief an.«
    Gaston legte ihm einen handgeschriebenen Brief vom 30. März 1924 vor, der auf einem Papier mit dem Adressaufdruck des Institut Français du Caire geschrieben war. Er überflog ihn. Aus Kairo schrieb Fernand Bisson de La Roque, ein Angestellter des Instituts, und der Adressat war Georges Bénédite, der damalige Kurator der Ägyptischen Abteilung des Louvre.
    »Fang hier an«, sagte Gaston.

    Und zum Schluss, Georges, den neuesten Klatsch über die Tutanchamun-Geschichte und den Nervenkrieg zwischen dem streitbaren Carter und Pierre Lacau, dem Direktor des Antikendienstes der ägyptischen Regierung.
    In den Kairoer diplomatischen Salons munkelt man, Carter sei vergangene Woche in das Büro von Lord Edmund Allenby, dem englischen Hochkommissar für Ägypten am British High Consulate von Kairo, gestürmt und zwischen beiden sei ein heftiger Streit ausgebrochen. Ich erinnere dich daran, dass dieser Allenby der ehemalige General Sir Edmund Allenby ist, der Mann, der im Krieg von Kairo aus die militärischen Operationen an der Palästinafront geleitet hat (der berühmte Colonel Lawrence stand in seinen Diensten). Das Geschrei wurde so laut, sagen die Lästermäuler der diplomatischen Kreise in Kairo und die, die im Old Winter Palace Hotel von Luxor überwintern, dass man es bis in die Gärten des Konsulats hörte.
    Allenby soll in seiner Wut sogar ein Tintenfass nach Carter geworfen haben, dem dieser gerade noch ausweichen konnte. Es zerbrach an einer Wand, und tatsächlich hat eine Sekretärin des Konsulats meinem Kollegen vor zwei Tagen anvertraut, dass ein Maler eine Wand von Allenbys Büro neu gestrichen hat.
    Worum es bei dem Streit ging? Um einen Papyrus, den Carter im Grab von Tutanchamun gefunden haben will, bevor die Grabkammer am 16. Februar 1923 offiziell eröffnet wurde. Gut informierten Kreisen des Konsulats zufolge soll Carter Allenby gedroht haben, den Inhalt des Papyrus bekannt zu geben, falls die britische Regierung nicht sofort Druck auf die ägyptische Regierung ausübe, damit der Antikendienst Lady Almina Carnarvon, der Erbin von Lord Carnarvon, die Genehmigung für Ausgrabungen im Tal der Könige übertrage (der Antikendienst hatte die Genehmigung vergangene Woche zurückgezogen, dem war wieder einmal eine der vielen Auseinandersetzungen zwischen Carter und Lacau vorausgegangen).
    Nach dem unbefristeten Proteststreik, den Carter und seine Mitarbeiter im Februar ausgerufen haben, stehen die Arbeiten im Grab still, wie du weißt.
    Der Inhalt des Papyrus? Halt dich fest, Georges. Carter soll Allenby erklärt haben, dass der betreffende Papyrus die wahre Version des biblischen Exodus erzählt. Der wahre Exodus war angeblich kein Auszug jüdischer Sklaven aus Ägypten ins Gelobte Land, sondern es waren verbannte Ägypter, die gezwungen wurden, Ägypten wegen religiöser Konflikte zu verlassen, und ihr Anführer war der entmachtete und ins Exil geschickte Pharao Echnaton.
    Wenn es wahr ist, was Carter erzählt, kannst du dir die Folgen einer solchen Enthüllung angesichts der derzeitigen politischen Situation im Nahen Osten vorstellen. Sie wäre ein tödlicher Schlag für die zionistische Bewegung, würde die palästinensischen Araber zur offenen Rebellion anstacheln und sowohl die Balfour-Deklaration als auch die Mandatsherrschaft in Palästina, die der Völkerbund Großbritannien 1922 übertragen hat, zunichtemachen. Von den englischen Interessen am arabischen Öl ganz zu schweigen.
    Vorzimmergeschwätz? Erst habe ich das auch gedacht, doch die Sache wird zu detailliert berichtet, um reine Erfindung zu sein. Außerdem geht in Pressekreisen das Gerücht um, dass Lord Carnarvon selbst gleich nach der Entdeckung des Grabes zwei Freunden in England geschrieben und die Existenz des Papyrus bestätigt hat …

    »Was hältst du davon?«, fragte

Weitere Kostenlose Bücher