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Curia

Curia

Titel: Curia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oscar Caplan
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Gaston.
    Théo rieb sich die Nasenwurzel. Der Papyrus existierte.
    Der Exodus der Bibel war in Wirklichkeit der Exodus Echnatons und seiner Getreuen, den Manetho hinter der Metapher von den »Leprakranken« verborgen hatte.
    »Bisson de la Roque war ein seriöser Ägyptologe«, sagte Théo. »Ich bezweifle, dass er seine Zeit mit Geschichten verloren hätte, die bloßes Hörensagen waren.«
    »Warum konnten Carter und Lacau einander nicht ausstehen? Unverträglichkeit der Charaktere?«
    »Nein, das Problem war viel ernster.«
    Nach der Entdeckung des Grabes seien die Namen von Carter und Carnarvon um die Welt gegangen. Das habe Neid beim ägyptischen Antikendienst geweckt, und der Konflikt sei durch Carters aufbrausenden Charakter und Lacaus bürokratische Engstirnigkeit noch zusätzlich angeheizt worden.
    Doch der wahre Grund, fuhr Théo fort, seien der wachsende ägyptische Nationalismus und der Ärger über die englische Vorherrschaft in Ägypten gewesen. Die Nationalisten, die das Ministerium für Öffentliche Arbeiten dominierten, konnten Lord Carnarvon nicht verzeihen, dass er Engländer war und dass er der »Times« die Exklusivrechte der Berichterstattung über die Entdeckung gewährt hatte. Also bedienten sie sich der Klauseln in den Ausgrabungsgenehmigungen. Der Antikendienst änderte willkürlich einige der Klauseln, natürlich zum Schaden der Erben Carnarvons, doch indirekt trafen sie damit auch Carter, der die Ausgrabungen leitete.
    »Carter muss getobt haben, als sie die Genehmigung zurückzogen«, sagte Gaston. »Wenn er diesen Papyrus wirklich in den Händen hatte, wundert es mich nicht, dass er so einen Tanz in Allenbys Büro aufgeführt hat.«
    »Mit dem Papyrus in der Tasche hätte jemand wie Carter genau so reagiert. Aber er hat nur geblufft wie ein routinierter Schauspieler.«
    »Er hat geblufft? Warum?«
    »Weil dieser Papyrus nicht katalogisiert wurde, Carter ihn also gestohlen hatte. Carter hätte seine Androhung niemals wahr gemacht, sonst wäre er als Archäologe erledigt gewesen.«
    »Das hat Allenby offenbar nicht gewusst«, sagte Gaston, »sonst wäre er nicht so wütend geworden.«
    »In Anbetracht der Balfour-Deklaration und der englischen Interessen im Nahen Osten hätte jeder an seiner Stelle Carter verflucht ernst genommen.«
    »Andauernd lese ich von dieser Balfour-Deklaration. Was zum Teufel war das?«
    Théo reichte Gaston einen vergilbten Ausschnitt aus der »Times«. »In diesem Artikel wird es erklärt.«
    Die Balfour-Deklaration war ein offizieller Brief, den der britische Außenminister Lord Balfour 1917 an Walter de Rothschild vom Londoner Rothschild-Clan geschickt hatte. In dem Brief sicherte Balfour den Zionisten die Unterstützung der Regierung Seiner Majestät für die Schaffung eines National Home der Juden in Palästina zu.
    Die Rothschilds, schon damals die mächtigste jüdische Familie in Europa, spielten eine entscheidende Rolle in der internationalen zionistischen Bewegung, deren Ziel die Schaffung eines Staates Israel war. Damit verfolgten die Rothschilds nicht nur ihre eigenen Interessen, sondern mittelfristig auch diejenigen Großbritanniens, das ein sicheres Standbein im Nahen Osten haben wollte, sowohl wegen des Erdöls als auch wegen der Kontrolle über den Sueskanal. Sie hatten sogar eine Bank gegründet, den Jewish Colonial Trust, um den Erwerb von Land durch jüdische Siedler, die sich in Palästina niederlassen wollten, zu finanzieren.
    »Carter wusste, dass ihm diese Karte in der Hinterhand eine ungeheuer starke Verhandlungsposition verschaffte«, schloss Théo. »Wenn die palästinensischen Araber von dem Papyrus erfahren hätten, wäre in Palästina das totale Chaos ausgebrochen.«
    Ein boshaftes Lächeln umspielte Gastons Mund. »Tja, dann hat sich ja seit damals eigentlich nicht viel geändert. Kannst du dir den Aufruhr vorstellen, wenn so etwas heutzutage in die Zeitungen käme?«
    Théo fuhr sich mit dem Finger über die Lippen. Wenn diese sensationelle Nachricht ans Licht gekommen wäre, hätte es das Ende für Israel bedeutet. Wer hatte das größte Interesse an Carters Schweigen gehabt? Moment mal … Almina.
    »Gaston, war Almina, Carnarvons Frau, nicht eine Rothschild?«
    »Ja. Sie war die uneheliche Tochter von Alfred de Rothschild, und offenbar haben Vater und Tochter sich innig geliebt. Warum?«
    Théo zeichnete Schnörkel aufs Papier. Die Entdeckung des Grabes war nur der Anfang gewesen, auf den zehn Jahre Arbeit von Fachleuten folgten –

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