Cut
den Regen davon abzuhalten, ihm kalte Tropfen den Rücken hinunterzuschicken. Seit er aus dem Taxi geklettert war, hatte sein Ich-bin-ein-Popstarin-London-Gefühl schon ziemlich nachgelassen. Madonna im Regen vor einer trostlosen Fabrikhalle irgendwo im Eastend. Probleme bei der Grenzkontrolle. Zum ersten Mal seit langem hatte er den Namen Amit Mukherjee gehört. Amit Mukherjee war vorbei, vergessen, nur ein paar Buchstaben in einem Pass.
Er gab sich einen Ruck und trat mit voller Kraft gegen die Tür. »Verdammt, ich dachte, ich bin hier eingeladen!«
Zu seiner Überraschung hörte er Schritte und die Tür öffnete sich. Vor ihm stand eine dünne, sehr weiße Frau mit rot gefärbten Haaren. Sie sprach breites Cockney. »Was schreist du hier rum?«
Cal hätte beinahe laut aufgelacht. Dieses England war ein gottverdammter Alptraum. Das glorreiche Empire, zerfressen von Borniertheit und Arroganz. Sie waren am Ende. Sie wussten es nur noch nicht.
»Ich hab geklingelt. Ich soll hier auflegen heute.«
Ihr Blick richtete sich von irgendwo hinter der Tür auf ihn. »Oh ja, sorry, ist ein bisschen laut hier drinnen. Du bist Cal. Aus Bombay.« Sie musterte ihn. »Cool. War auch in Indien letztes Jahr. Goa. Gute Partys. Komm!«
Goa. Das hatte noch gefehlt. Aber sie hatte sich schon umgedreht und stapfte mit großen Schritten vor ihm durch den fast leeren Club. Nur eine junge Frau mit Kopftuch fegte gerade die Kippen zusammen. Sie hob kurz den Kopf und sah ihn an, aber bevor er etwas sagen konnte, hatte sie den Blick schon wieder gesenkt. Vielleicht war sie aus Pakistan. Von irgendwoher dröhnten Bässe in den Raum. Die rothaarige Frau stieg jetzt eine dunkle Treppe runter. Er kam kaum hinterher, mit seiner großen Kiste auf den glitschigen Metallsprossen. Unten hantierten im Halbdunkel ein paar Typen an einem Mischpult herum.
»Ich bin Cookie, die Managerin!«, brüllte sie in sein Ohr. »Das sind Samir und seine Jungs. Organisieren hier den Asian Underground. Jeden Mittwoch.«
Er wischte sich einen Tropfen ihrer Spucke vom Ohr und spürte, wie ihn undeutliche Gestalten umringten. Hände klopften ihm auf die Schultern. Irgendjemand schaltete das Hauptlicht ein.
»Ey, Mann, wie geht’s in der Heimat?« Dieser Samir sprach eine komische Mischung aus Hindi und Englisch, beides mit britischem Akzent, was für Cals Ohren eher außerirdisch klang.
»Macht doch mal leise!« Cookies Stimme schrillte durch das Wummern.
Die plötzliche Stille ließ seine Ohren klingeln. Ihr Gesicht leuchtete jetzt nah vor seinem.
»Okay, Cal, Samir hat irgendwo dein Tape aufgegabelt und dich empfohlen. Dies ist der beste Club in town. Mach sie heiß heute Nacht, okay? Dann kannst du hier morgen früh mit einem Plattenvertrag rausspazieren.«
»Und Vertrag heißt Visum, Mann!« Samir hing immer noch an seiner Schulter.
Cal machte sich vorsichtig los und stellte seine Kiste auf das DJ-Pult. Er fühlte, wie seine Sprache langsam zurückkehrte und auch sein Sarkasmus.
»Ich bin noch nicht mal richtig da«, sagte er heiser, »und alle glauben, ich will unbedingt hier bleiben. Es ist kalt. Es regnet den ganzen Tag. Die Rinder sind wahnsinnig. Ihr solltet froh sein, dass überhaupt jemand kommt.«
Einen Moment lang starrten sie ihn an, dann wieherte Samir los. »Ey, Mann, guter Witz!«
Die anderen fingen wie auf Kommando an zu lachen, und sogar Cookie schenkte ihm ein nervöses Lächeln, bevor sie ihr klingelndes Handy aus der Tasche zog.
Cal öffnete die große Metallkiste und stapelte analoge elektronische Geräte und Platten auf das Pult. Dann fing er an zu stöpseln.
21 Pickles
»Wer ist da?« Nick hielt den Hörer des altmodischen Telefons ein Stück von seinem Ohr weg. War das Hindi, was da aus der Muschel plärrte? Der Lautstärke nach zu schließen, war die Besitzerin der Stimme auf alle Fälle beinahe taub. »Entschuldigen Sie bitte, ich suche einen Doktor Anand Kumar!«, unterbrach er brüllend ihren Redefluss. Ein weiterer Schwall unverständlicher Laute entwich aus dem Hörer und traf auf sein Trommelfell. Nick legte auf.
»A. Kumar, A. Kumar, Scheiße, das sind ja Hunderte.« Er blätterte hektisch ein paar Seiten weiter.
Du stehst in der gewaltigen viktorianischen Halle der High Commission of India und versuchst dich weder von dem hohen Empfangspult noch von dem Tonfall der Frau dahinter einschüchtern zu lassen. Als könne sie deine Nervosität riechen, hat sie dich von oben bis unten gemustert, während du in schlechtem
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