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Cut

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Titel: Cut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Merle Kroeger
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verglichen damit, Ron bei Laune zu halten. Dafür müsste man Gefahrenzulage kassieren.
    Es hatte eine Weile gedauert, bis sie intus hatte, dass höchstens die Hälfte der Leute krank war. Der Rest waren Eltern, Geschwister, Tanten, Neffen, die ganze Bagage eben. Aber nach zwei Jahren bei Doktor Kumar machte ihr keiner mehr was vor. Der Doktor konnte sich auf sie verlassen. Sie hielt ihm die Leute vom Leib, bis sie dran waren. Nellie wusste, dass die Inder sie nicht besonders leiden konnten. Sie ließ sich davon keine grauen Haare wachsen. Fürs Nettsein wurde sie nicht bezahlt.
    In lautem Cockney brachte sie die Neuankömmlinge zur Ruhe. Ein alter Mann schob ihr seine NHS-Versicherungskarte rüber als wäre es die Bibel oder was immer die da in der Kirche lasen. Nur gut, dass sie diese komplizierten Namen nicht auch noch mit der Hand in den Computer eintippen musste. Die reinsten Zungenbrecher waren das.
    Nicht, dass Nellie sich noch nie gefragt hätte, warum der Doktor gerade sie genommen hatte und keine von seinen eigenen Leuten. Mit ihrem Aussehen konnte sie ja wohl keinen Blumentopf mehr gewinnen. Sorgen machen dick, dachte sie jedes Mal, wenn sie aus Versehen am Spiegel vorbeikam. Sie hatte schon daran gedacht, das blöde Ding einfach wegzuschmeißen. Eine neue Blondierung konnte sie sich sowieso nur noch alle zwei Monate leisten, wenn überhaupt. Vielleicht stand der Doktor ja zu Hause unter dem Pantoffel. Oder er hatte Spaß dran, eine Britin für sich schuften zu lassen. Na, wie auch immer, was ging sie das an. Sie war gerne Arzthelferin und sie gehörte noch lange nicht zum alten Eisen.
    Nellie hatte sich schon zusammen mit Ron im Pub versauern sehen, als ihre vorige Praxis zu Hause auf der Isle of Dogs dichtmachte. Ein paar Jahre lang waren die Leute noch ab und zu beim Arzt aufgetaucht, weil die Arbeitslosigkeit sie krank machte. »Denk an deine Bauchspeicheldrüse«, das predigte sie Ron immer, aber der hörte ja nie zu. An der Bauchspeicheldrüse erkennst du den Säufer. Zuletzt blieben sogar die Säufer weg und der Arzt wurde selber arbeitslos.
    Auch wenn Ron und seine Kumpels immer wieder davon anfingen, sie glaubte nicht, dass die Leute hier mehr Arbeit hatten. Sie kamen rüber aus Southall und Wembley, den indischen Ghettos. Es schien ihnen einfach weniger auszumachen. Na ja, wahrscheinlich war es die Mentalität. Im Fernsehen hatten sie gerade neulich einen Film über Kalkutta gebracht, wo ganze Familien in so Bretterverschlägen hausten. Kein Wunder, dass die sich hier wohl fühlten wie die Maden im Speck.
    Immer musste das Telefon klingeln, wenn man gerade mal ’ne Minute für sich hatte! Nellie ging ran. »Praxis Doktor Kumar, Somers am Apparat! Ja. Nein, der Doktor behandelt gerade. Ist das mein Problem? Dann müssen Sie es eben noch mal versuchen! Was bitte? Seinen Vornamen? Sind Sie pervers oder was?« Sie knallte den Hörer auf. Bestimmt so ein Irrer. Aber nicht mit Nellie Somers. Sie konnte diese Irren schon am Tonfall riechen.
    Das Wartezimmer fing an zu summen wie ein verdammter Bienenstock, als der Doktor endlich aus dem Sprechzimmer kam. Der kritische Moment. Nellie ging in volle Alarmbereitschaft, immer auf dem Sprung, jemanden zur Not mit roher Gewalt zurück an seinen Platz zu bugsieren.
    Der Doktor sah aus, als wäre er an diesem Morgen auch nicht so ganz auf der Höhe. Schlecht geschlafen, diagnostizierte Nellie, da brauchte man kein Arzt sein, um das zu merken. Seine Hand hatte er auf der Schulter eines jungen Burschen. Sie konnte nicht hören, was er sagte, aber der Junge lachte. Ihr Chef hatte ein gutes Händchen mit seinen Leuten, das musste man ihm lassen. Jetzt kam er rüber zu ihr an die Rezeption.
    »Das ist schon der fünfte heute, der glaubt, er habe BSE«, flüsterte er, »dabei isst seine Familie streng vegetarisch. Diese verdammten Zeitungen.«
    Nellie winkte ab. Sie hatte Ron verboten, die Zeitungen mit ins Haus zu bringen, seit die Schmierer Diana so durch den Dreck zogen. Sie waren doch einer wie der andere, verlogen und gekauft. Ron las die Zeitung jetzt im Hub. Aber ihr Geld ging wenigstens nicht mehr dafür drauf. Sie wollte dem Doktor gerade sagen, dass heutzutage nicht mal mehr die Toten ihre Ruhe vor der Journaille hatten, als schon wieder das Telefon klingelte. Ungeduldig griff sie nach dem Hörer.
    Die Frau Doktor sprach immerhin ganz passables Englisch. Doktor Kumar hatte ihr mal erzählt, dass sie sich sogar zu Hause auf Englisch unterhielten, weil seine

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