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Cut

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Titel: Cut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Merle Kroeger
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Schulenglisch gefragt hast, wo man Auskunft über Inder einholen kann, die sich in Großbritannien aufhalten.
    »In Großbritannien gibt es kein Meldegesetz. Und wir erteilen Auskünfte über indische Staatsbürger nur an Verwandte.« Sie müssen extra ein Podest eingezogen haben, damit sie so auf unwichtige Bittsteller hinuntergucken können. Du streckst dich und hoffst, dass ein paar Zentimeter dabei rausspringen.
    »Ich suche meinen Vater.«
    Überraschung flackert in ihrem Blick auf und sie lässt ihre Mundwinkel zwei Millimeter nach oben wandern. Eins zu null für dich.
    »Dann bräuchte ich bitte Ihren indischen Pass mit dem Namen Ihres Vaters.«
    Einen indischen Pass? Wo in aller Welt sollst du einen indischen Pass hernehmen? Du wühlst in deiner Umhängetasche, bis du endlich den Beweis deiner EU-Staatsbürgerschaft findest. Eins der begehrtesten Dokumente der Welt und jetzt nützt es dir überhaupt nichts.
    »Ich habe aber nur meinen deutschen – meine Mutter wollte nicht –« Du brichst ab. Deine Stimme klingt viel zu laut. Beim Hereinkommen hast du nicht darauf geachtet, dass angeordnet in mehreren Ensembles ein Dutzend dunkelgrüne Lederfauteuils in der Halle verteilt sind. Gesichter von Männern tauchen hinter indischen Tageszeitungen auf und werfen dir neugierige Blicke zu.
    Die Frau hinter dem Pult ist jetzt nicht mal mehr anstandshalber höflich. »Dann versuchen Sie es wohl besser auf anderem Wege.« Ihr Knoten aus schwarzem Haar sitzt perfekt, ihr dunkles Kostüm sitzt perfekt und ihr perfekter Unterton trifft ins Schwarze.
    So würdevoll wie möglich trittst du den Rückzug an.

    Nick lag auf dem Rücken, auf seinem Bauch das Telefonbuch.
    »Ja, ich verstehe. Mr. Kumar ist in einer wichtigen Börsenschaltung. Ja. Nein, ich brauche keinen Termin, ich denke, es hat sich schon erledigt. Nur noch eine Frage. Wie heißt Herr Kumar mit Vornamen? Abishek, ich verstehe. Nein danke.« Er ließ den Hörer fallen und strich den einundfünfzigsten Eintrag aus.

    »Junge Frau! Wir haben hier indische Ärzte zu Tausenden. Ärzte und Pickles! Hahaha!«
    Vor deinen Augen verschwimmt das Gesicht von Doktor McLoughlin, dem Sekretär der britischen Ärztekammer. Du zwinkerst ein paarmal. Stundenlang hast du in der British Library die Wählerlisten von London gewälzt, bist du gemerkt hast, dass die langen Reihen von winzig gedruckten Namen nach Straßen sortiert sind. Deinen Sinn für Humor musst du unterwegs verloren haben.
    »Aber gibt es denn keine Möglichkeit, den richtigen zu finden?«
    Er guckt jetzt besorgt in dein zwinkerndes Gesicht. Es ist nicht schwer, deinen überreizten Augen ein paar Tränen zu entlocken. Eine Prise melodramatische Dringlichkeit, bitte.
    »Nein, nein, nein, meine Dame, gucken Sie doch in den Computer hier! Anand Kumar, das ist wie Bill Smith, da gibt es Kumar den Chiropraktiker, Kumar den Röntgenspezialisten, Kumar den Hals-, Nasen-, Ohrenarzt. Das sind mindestens siebzig, verteilt über ganz England. Nicht mitgezählt diejenigen, die wahrscheinlich nicht mal Mitglied der Ärztekammer sind. Gerade die indischen Ärzte organisieren sich nämlich lieber untereinander. Sie trauen uns nicht. Na ja, verständlich.«
    Du hörst auf zu zwinkern und versuchst deine Augen wieder in Normalzustand zu bringen, bevor der nette Doktor mit den Sommersprossen zu einem längeren Vortrag über die Folgen der Kolonialgeschichte ausholen kann.
    Klar verstehst du die Vorbehalte der indischen Ärzte. Klar verstehst du das superliberale britische Meldegesetz. Nur jetzt ist dir schlecht und vor deinen müden Augen tanzt das Bild deines indischen Vaters im weißen Kittel, der sich vor dir im Wald versteckt wie ein scheues Reh.

22 Hochzeit
    Das Wartezimmer platzte jetzt schon aus allen Nähten und durch die Tür drängelte noch eine komplette Sippschaft in die Praxis. Nellie Somers thronte wie immer hinter der Anmeldung. Sollte sie vielleicht raten, wer von denen überhaupt krank war? Mehrere Leute fingen gleichzeitig an, in ihrem typischen Sprachenwirrwarr auf sie einzuquatschen. Nellie verstand kein Wort. Abwarten hieß die Devise. Schließlich wollten die ja was von ihr und nicht umgekehrt.
    Sie entsorgte unauffällig ihren Kaugummi aus dem Mund und klebte ihn unter die Tischplatte. Außer dem Doktor legte zwar bestimmt keiner hier gesteigerten Wert auf Hygiene, aber sie wollte lieber auf Nummer sicher gehen. Sie brauchte den Job. Hier zu sitzen wie ein Dompteur im Zirkus war eine leichte Übung

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