Cut
Frau aus einer ganz anderen Ecke Indiens kam als er. Jedenfalls war sie eine ganz Feine, und gearbeitet hatte die keinen einzigen Tag in ihrem Leben. First Lady nannte Nellie sie immer, aber natürlich nicht vor dem Doktor.
»Ihre Frau«, flüsterte sie zurück.
»Okay, stellen Sie durch. Und keine Patienten in den nächsten zehn Minuten. Bitte.« Er zwinkerte ihr zu.
Nellie fühlte, wie sie rot wurde. Das konnte ja wohl nicht wahr sein! Gott sei Dank war er schon wieder auf dem Rückweg. Schlecht sah er nicht aus, der Doktor mit seinen grau melierten Haaren, sehr gepflegt. Aber nur, wenn man diese südländischen Typen mochte. Sie steckte das Kaugummi wieder in den Mund und warf einen strengen Blick in Richtung Wartezimmer, um den Lärmpegel so weit wie möglich runterzukriegen. Dann nahm sie vorsichtig den Hörer ab und drückte einen Knopf. Ein bisschen Spaß konnte doch wohl jeder haben.
»Liebling! Ja, natürlich. Sie will ihn heiraten?« Der Doktor klang aber erleichtert.
Die First Lady ratterte los wie ein Maschinengewehr. Nellie schob zufrieden den Kaugummi auf die andere Seite. Hatte sie es doch gewusst. Es ging um die Hochzeit der Tochter, diesem Hungerhaken. Sah aus wie ein Model, immer eins a zurechtgemacht. Endlich war der Doktor wieder am Zug.
»Aber sicher, du kannst loslegen. Nein, wir machen es richtig im großen Stil. Natürlich in Bombay. Mutter will doch dabei sein.«
Schade. Nellie hatte mal gelesen, die Inder heirateten wie im Märchen. Drei Tage lang abfeiern und essen, bis es einem zu den Ohren rauskommt. Da hätte sie Ron was zum Auftauen ins Eisfach gestellt und sich mal wieder so richtig amüsiert. Aber Bombay! War wahrscheinlich billiger. Nellie horchte auf. Jetzt wurde er richtig sentimental.
»Unsere Tochter! Mein Gott, ich bin froh, dass sie einverstanden ist. Nein, Liebling, ich bin sicher, wir haben richtig entschieden. Kishors Sohn ist ein guter Junge. Er wird Anwalt. Und unsere Kleine braucht auf nichts zu verzichten. Das ist das Wichtigste. Ja gut, heute Abend.«
Nellie wollte verflucht sein, wenn der Doktor nicht am Heulen war da drinnen, alleine in seinem Sprechzimmer. Sie überlegte. Ein Schnaps kam nicht in Frage, der trank ja nicht mal nach Feierabend sein Bierchen. Arbeit war die beste Ablenkung, sagte man nicht so? Sie versuchte sich zu erinnern, wie der kleine Junge hieß, der mindestens zehn Verwandte im Schlepptau hatte.
Cal schnippte die Power-Schalter seiner Geräte alle nacheinander auf On und nickte erleichtert beim Aufleuchten der Dioden.
Samir wühlte sich neugierig durch seine Platten. Er zog eine bunt bedruckte LP raus. »Mann, das ist toll, die haben meine Eltern! Das ist doch – wie hieß der Film noch?«
Cal nahm ihm die Platte aus der Hand und registrierte, dass Samir kein Hindi lesen konnte, denn der Titel stand in großen Buchstaben quer über der Platte. »Bharat Mata – Mutter Indien«, sagte er.
»Oh ja, natürlich.« Samir dachte einen Augenblick nach, dann begann er eine Melodie zu summen. »Das ist doch der Song, oder? Komm, spiel mal an, zum Soundcheck!«
Cal machte eine abwehrende Handbewegung. »Das ist das Stück, wo sie heiraten. Weißt du eigentlich, was die da singen?«
Samir schüttelte den Kopf.
»Das Schicksal der Frau ist es, ihr Heim zu verlassen und die Liebe ihres Mannes zu erringen. Scheiß indischer Familien-Kitsch. Ich spiel dir ein anderes vor. Ich hasse Hochzeitsszenen!« Er wunderte sich selbst über seine heftige Reaktion.
Aber Samir lachte schon wieder. »Ey, Cal, für einen aus der Heimat bist du ganz schön cool. Komm, spiel mir den Song! Einmal. Dann kann ich ihn heute Nachmittag meiner Mum vorsingen und sie ist glücklich!«
23 Zweiter Song
Kling. Kling. Glöckchen und Zimbeln rasseln leise. Über dem offenen Festplatz funkeln die Sterne. Die Dekoration schimmert in Rot und Gold. Ein Vorhang raschelt. Die Tische brechen fast zusammen unter der Last der Köstlichkeiten. Männer in Kurtas aus Rohseide und Frauen in funkelnden Saris stehen in Grüppchen zusammen und unterhalten sich gedämpft. Knisternde Spannung liegt in der Luft.
Cut. Das Orchester beginnt zu spielen. Verschiedene Trommeln. Tänzerinnen in rajastanischen Kostümen mit klingelnden Fußkettchen schieben sich in einer Reihe ins Bild. Der junge Anand Kumar wird lachend von seinen Freunden in die Mitte geschoben. Er trägt ebenfalls eine Kurta und einen Kopfschmuck, der an die Turbane aus der Kolonialzeit erinnert.
Cut. Aus der Menge der
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